Stell dir einmal vor, wenn du zum Nachbarn gehst, gehst du du nicht, sondern du lässt dein Dingi zu Wasser, prüfst, ob noch genügend Benzingemisch im Aussenborder ist, kletterst ins Schlauchboot, startest den Motor, machst die Leinen los – möglichst nicht bevor der Motor läuft, damit du bei Wind nicht abgetrieben wirst – und fährst dann los zu deinem Nachbarn. Dann die Prozedur im umgekehrter Reihenfolge, um dort an Bord zu gehen. Kurze Strecken schwimmst du auch schon mal, paddelst oder ruderst.
Wenn es stärker weht und das Meer dadurch richtig kappelig geworden ist, überlegst du es dir zweimal, ob du heute noch diesen Besuch machen möchtest, und bleibst dann meist lieber an Bord.
Genauso wenn du an Land möchtest. Einkaufen kann, je nachdem wo du gerade ankerst, mit einer Fahrt von mehreren Stunden verbunden sein zu einem Ankerplatz, der in der Nähe der Einkaufsmöglichkeiten liegt. Getränkekisten gibt es übrigens nicht, denn wo an Bord sollten die denn stehen?
Ich habe ein Boot gekauft, dass fast drei Jahre nicht benutzt wurde. Immer mehr ist klar, dass sich in der der Zeit einfach vieles kaputt gestanden hat, weil es nicht benutzt und gewartet wurde. Es ist eben wie ein Haus-Auto-Wohnmobil. Es ist unglaublich, was in diesem Boot an Technik und Ausstattung drinnen steckt und wie kompliziert es ist.
Ich bin jetzt schon mehr als zweieinhalb Jahre unterwegs. Doch gerade jetzt an Bord meiner Amiga, wird mir mir bewusst, wie sehr mein Leben sich verändert hat.
Ich bin immer noch dabei mich einzurichten. Doch völlig selbstverständlich habe ich einen Vorrat an Lebensmitteln angelegt, die mich für mehrere Wochen autark macht. Ebenso andere Dinge des täglichen Lebens sind so vorhanden, dass ich für einen längeren Zeitraum nichts nachkaufen muss.
Ein weiteres gewichtiges Thema ist die Energie. Strom aus der Steckdose? Ja, den gibt es. Doch selbst produziert mit dem Motor, Solar- oder Windenergie, einem Generator.
Und die Energie ist immer nur begrenzt. Ständig habe ich einen Blick auf den Batteriestandanzeiger, auf die Verbraucher, ob irgendwo mehr Strom gezogen wird, als unbedingt erforderlich. Wenn üppig die Sonne Energie über die Solarpaneele liefert, ist es Zeit, Computer, Zahnbürste, Rasierer oder Fotoapparat aufzuladen. Energiehaushalt des Bootes ist ein Dauerthema und gehört jetzt zu meinem täglichen Leben.
Wäsche mit der Hand waschen? Ja. Doch eigentlich nutze ich lieber in Fiji die Möglichkeiten, wo Seglern eine Waschmaschine zur Verfügung gestellt wird. Denn auch mein Wasserhaushalt ist begrenzt. Ich habe nach dem Nachtanken in einer Marina gut 500 Liter an Bord. Nachtanken ist aber nicht überall möglich. Also lieber nicht zum Wäsche waschen vergeuden. Das war an Bord der Pacifico einfacher. Dort kann auch das Wasser selbst produziert werden. Etwas das noch auf meiner Wunschliste steht, ist also ein Wassermacher.
Und dann denke ich an meine Freundinnen und Freunde in Deutschland und Spanien und wie sie leben. Wie ich ja auch bis vor kurzem gelebt habe. Da gibt es einen Job, Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Haus, Wohnung, Auto. Den Supermarkt in der der Nähe. Meist bekommt man das, was braucht problemlos, wenn man es braucht. Onlinebestellungen ergänzen das Angebot und sind innerhalb von wenigen Tagen verfügbar. Restaurant-, Kino- und Theaterbesuche. Eben alles so, was das tägliche Leben ausmacht. Diskussionen um Dieselmotoren, weil irgendein Politiker die jetzt nicht mehr für umweltgerecht hält. Unternehmen, die Insolvent gehen, wie Air Berlin. Die neueste Mode, Kleidung, Schuhe, ein Friseurbesuch. Das Sportstudio oder eine Verabredung zu Laufen. Ein Arztbesuch. Die nächsten Wahlen, Preissteigerungen, Lebensmittelskandale. Tausend Dinge und Informationen, die auf die Menschen einströmen und das Leben auch beeinflussen.
Und ich bin jetzt ganz weit weg davon. Vielleicht sogar unvorstellbar weit für die meisten. Und das liegt nicht nur an der physischen Entfernung. Es ist ein anderes Leben. Vieles hat sich für mich auf das Einfache, das Lebensnotwendige reduziert.
Sich mit der Kraft des Windes fortbewegen und über das Meer zu gleiten im Sonnenschein ist etwas, dass in mir eine tiefe Zufriedenheit und ein Glücksgefühl auslöst. Etwas was im täglichen Leben in Deutschland fast verloren war.
Vieles ist sehr viel beschwerlicher geworden, ohne dass ich es wirklich als beschwerlicher empfinde. Ich konnte mir früher beispielsweise ein Leben ohne Geschirrspülmaschine gar nicht vorstellen. Das Mehl für das Brot selbst zu mahlen, den Yoghurt (wenn auch aus der Tüte) selber ansetzen, Fleisch einkochen, um es haltbar zu machen – all das hat nicht zu meinem früheren Leben gehört.
Ich bin natürlich nicht die einzige, die diesen Weg geht. Jede und Jeder, die und der auf dem Meer lebt, ergeht es sicherlich ähnlich. Die Motivationen dieses Leben zu führen, zumindest für eine gewisse Zeit, sind dabei sehr unterschiedlich und ganz individuell.
Hallo Hilde! Hier im extrem hektischen Rio mache ich mir täglichen Gedanken darüber wann und ob ich überhaupt mal dazu kommen werde so ein Leben führen zu können. Vorläufig müssen wir uns mit 4-5 Wochen an Bord begnügen… ist schon besser als überhaupt nicht… Du schreibst sehr gut, macht Spaß Deine Posts zu bekommen! Vielen Dank!
Hallo Lisa
Vielen Dank. Du bist ja im Moment noch Familien-Managerin mit Job, Haushalt, 4 Kindern und Boot. Absolut bemerkenswert. Doch auch deine Zeit an Bord wird kommen. Ganz bestimmt.
Liebe Grüße
Hallo Hilde,
die Gedanken um die Reduzierung auf das Lebensnotwendige treibt sicher viele – und auch mich – des Öfteren um. Ich stelle auch fest, dass dies mit dem Alter zunimmt.
Du hast einen sehr schönen Weg gefunden, das zu leben. Ich bewundere das!
Ich bin ja keine Seglerin, insofern ist mein Blick auf dein jetziges Leben eventuell auch etwas verklärt.
Es ist in der Tat hier in Deutschland schwierig, sich der Alltagsspirale des Öfteren zu entziehen. Aber dein Bericht motiviert mich, doch mal wieder öfter die „Handbremse“ zu ziehen.
Ich habe gerade eine Phase der vielfältigsten Aktivitäten/Verplichtungen hinter mir, mit auch vielen schönen Dingen dabei, aber in der Summe zu viel.
Ich hatte mich gerade mit einer Tasse Kaffee in die angenehme Septembersonne in meinem Garten gesetzt. Darauf hatte ich mich schon lange wieder gefreut. Auch darauf, dass ich mir für den Garten die nächsten Wochen reserviert habe. Denn dies ist der Ort, der mich erdet.
Dass ich gerade jetzt deinen Bericht angeklickt habe, mit diesem Thema, war ein sehr schöner Zufall.