Gibt es etwas ehrlicheres als die Natur? Und ist segeln nicht eine wunderbare Möglichkeit, sich mit der Natur zu verbinden?
Natürlich nur, wenn man nicht gerade meint, seinen Müll über Bord werfen zu müssen. Doch wenn ich mir die Mülltonnen der Marinas so anschaue, tun dass sicherlich die wenigsten.
Ich empfinde das Segeln, als immer wieder etwas Besonderes: die Natur, und damit den Wind, das Boot und mich in Einklang bringen. Etwas, dass mir Ruhe und innere Ausgeglichenheit bringt.
Dumm nur, wenn der Wind mal wieder einschläft, gerade dann, wenn ich los möchte. Und am Mittwoch soll es eben nach Saweni gehen.
Saweni, ein Ort zwischen Vuda Marina und Lautoka, beliebte Ankerbucht, da meistens geschützt und ruhig und eben kostenlos im Vergleich zu der etwas weiter südlich gelegenen Marina.
Wenn man früh morgens mit dem Dingi an den Strand fährt, gibt es sogar die Möglichkeit mit einem Bus nach Lautoka zu fahren. Einen Taxistand, wie in der Vuda Marina, gibt es allerdings nicht.
Also Saweni mit der Renahara. Gelegenheit für die Mitsegler noch Lautoka und Nadi kennen zu lernen, bevor sie Fiji wieder verlassen. Mitsegler bezieht sich sowohl auf meinen Gast, wie auf den an Bord der Renahara, der dort zwischenzeitlich eingetroffen ist.
Für mich auch Gelegenheit noch einmal zum Headquarter Customs zu gehen. Ich möchte keine Schwierigkeiten bei der Ausreise und deshalb abklären, dass es eine Namensänderung für die Amiga gegeben hat und das sie inzwischen ein deutsches Boot ist, registriert in Laboe.
Der Wind wird auf der Fahrt von Malolo nach Saweni immer weniger und erst auf den letzten drei Meilen, reicht er wieder zum Segeln aus.
Und wieder macht die (das?, der? – na egal) Furling der Genua Probleme. Erst lässt sie sich kaum ausrollen und dann, trotz Heißwasserdusche und Silikonspray, auch nicht wieder richtig rund einrollen.
Nachdem wir vor Anker gegangen sind, setze ich mich ins Dingi und fahre hinüber zur Renahara. Ich störe die Crew nicht wirklich beim Lunch und bekomme einen frisch gekochten Kaffee. Es dauert gar nicht lange und schon kommt die Frage, ob beim Segeln auf der Amiga diesmal alles in Ordnung war. Martin macht sich viele Gedanken über die Stellung der Segel und wie man das optimale aus der Amiga herausholen kann. „Nein, es ist NICHT alles in Ordnung!“ Drei fragende Gesichter schauen mich spontan mit hochgezogen Augenbrauen an. Ich konnte die unausgesprochenen Fragen förmlich an ihren Gesichtern ablesen.
Ich erzähle von dem Furling-Problem und dass sich meiner Meinung nach die Ursache hierfür am oberen Ende befindet. Um nachzuschauen, was da los sein könnte, geht kein Weg daran vorbei, dass jemand in den Mast muss.
Es zeigt sich wieder einmal, wie gut es ist, solche Freunde zu haben. Renate plant und organisiert sofort unser Vorgehen, um möglichst schnell eine Lösung zu finden und die Sache in Ordnung zu bringen. Und selbstverständlich klettert die ehemalige Feuerwehrfrau behände mit völliger Selbstverständlichkeit selbst in den Mast. Wenig später wissen wir, dass das, was ich am oberen Ende der Furlingschiene für einen Bruch gehalten habe, der Kopf der Furling war, der abgerutscht über der Schiene hing. Wir brauchen fast zweieinhalb Stunden, bis wir endlich die Ursache des Problems gefunden haben. Inzwischen haben wir trotz des Windes die Genua herunter geholt, lesen in der Systembeschreibung vom Hersteller nach, wie es eigentlich aussehen sollte, wenn alles richtig installiert ist. Die erste Einschätzung, dass das Segel möglicher Weise zu groß ist und der abgerutschte Kopf dadurch zu viel Spiel hatte, erweist sich als nicht richtig. Die gesamte Furlingschiene mit Ihrem nicht unbeachtlichem Gewicht wird am Fuß in der Furlingtrommel durch zwei kleine Schrauben gehalten. Als wir die Schiene nach oben schieben, sind deutlich die Abriebspuren von den beiden Schrauben zu sehen, die die Schiene nicht mehr gehalten haben, wodurch sie dann nach unten gerutscht ist. Also Schrauben mit Locktide neu einsetzen, Schiene wieder richtig platzieren, Renate noch einmal in den Mast, um alles zu überprüfen, Segel wieder anschlagen und einrollen (der Wind hat nachgelassen) und zum Sundowner ist meine Welt wieder in Ordnung. Etwas, was ich ein paar Stunden zuvor noch nicht einmal zu hoffen gewagt hatte. Wie wunderbar sind die Freunde der Amiga.
Der nächste Bummeltag in Lautoka, wiederholt für mich die Erkenntnis, dass die Offiziellen in Fiji wirklich nett sein können. Da meine Namensänderung des Bootes im Headquarter nicht geklärt werden kann, fahren zwei Mitarbeiter mit mir runter zum Hafen in das dortige Büro. Der Mitarbeiter dort sortiert mir meine Fiji-Bootspapiere so, dass der Packen, der für die Ausklarierung erforderlich ist, in einen gesonderten Umschlag kommt. Den brauche ich dann nur mit dem üblichem Formular vorlegen und alles soll problemlos machbar sein. Nur die Frage, ob durch die Namensänderung die gezahlte Importsteuer nicht verfällt, bleibt ungeklärt. Dass ist so noch nicht vorgekommen, und dass müssen irgendwelche Bosse erst einmal diskutieren. Über das Ergebnis soll ich per Mail informiert werden.
Na, da bin ich ja mal gespannt, wie lange das dauert, bis ich diese Mail bekomme und ob ich sie überhaupt bekomme. Letztendlich habe ich ja ohnehin keine andere Chance, als das Ergebnis so oder so zu akzeptieren. Worst Case: die Amiga darf nicht länger als 18 Monate am Stück in Fiji bleiben oder die Steuer in Höhe von 5% des Bootswertes muss erneut gezahlt werden.
Die beiden Mitarbeiter vom Headquarter bringen mich auch wieder in die Stadt zurück und setzen mich vor dem Northern Club ab. Hier bin ich mit den anderen zum Lunch verabredet, die sich in der Hitze des Tages Lautoka anschauen und sich bestimmt auch schon die Füße heiß gelaufen haben.
Den Club kannte ich bisher nicht. Ich darf mich als Gast eintragen und suche mir einen Platz auf der großen, luftigen, überdachten Terrasse. Eine Stunde vor der verabredeten Zeit. Macht nichts. Hier lässt es sich beim kühlen Bier gut warten. Und die Preise für Essen und Getränke sind überraschend günstig. Fast nur die Hälfte von dem, was sonst in einem Restaurant in Fiji zu zahlen ist. Dabei ist das später bestellte Essen sehr gut, lecker und ansprechend serviert.
Ich erhalte während der Wartezeit eine Nachricht von der Chiwaldy. Das Deutsch-irische Paar ist jetzt ebenfalls in Saweni angekommen und es findet gegen 17 Uhr eine Jamsession am Strand statt. Als wir später dort treffen, bringt jeder nicht nur seine Musikinstrumente, soweit vorhanden, mit. Es hat auch jeder etwas zum Essen dabei. Schüsseln und Teller werden herumgereicht und das probieren der unterschiedlichen Speisen wird fast zu einem kulinarischen Ereignis, während wir von der Irishfolk Musik begleitet, die meisten Texte dann auch mitsingen.
Viel zu schnell ist auch dieser Abend am Strand zu Ende.
Am nächsten Morgen fahre ich per Bus und Anhalter nach Vuda. Diesmal nicht zur Marina sondern zu Marschal Sails, um den dort bestellten Canvas für meinen Dodger/Sprayhood abzuholen. Ich habe jemanden gefunden, der es mir nähen wird, wodurch ich ein Drittel der Kosten gegenüber einem Firmenauftrag sparen kann. Dabei bin ich gespannt, ob das wirklich klappt und wie dann das Ergebnis sein wird. Das Material macht zumindest schon einmal einen sehr guten Eindruck und überzeugt mich wirklich. Nun hoffe ich auch, dass der Segelmacher, den ich aufgetan habe, es fachlich richtig gut machen wird. Im Kopf mache ich allerdings schon gleich einmal Fiji-Abstriche, um dann möglicherweise Kompromisse mit mir selbst eingehen zu können.
Wieder an Bord verbringe ich erst einmal mehr als eine halbe Stunde mit einer schon fast üblichen Beschäftigung. Suchen! Wo habe ich denn jetzt nur die Telefonnummer von dem Segelmacher aufgeschrieben??? Dort, wo ich es erwartet hätte, natürlich nicht. Dabei fällt mir ein Zettel von Mohamed in die Hand mit einer Telefonnummer, die er mir gegeben hatte. Das wäre auch jemand, der mir das nähen könnte und wahrscheinlich günstiger als der Segelmacher. So schnell gebe ich meine Suche jedoch nicht auf. Ich überlege, was alles um mich herum lag, als ich die Nummer notiert hatte und wo genau ich diese Sachen dann später hingelegt habe. Und siehe da, schon finde ich die Telefonnummer.
Wir verabreden und für den nächsten Tag zum Maß nehmen vor Ort. Ich werde ihn mit dem Dingi am Strand abholen. Das bedeutet aber auch, dass ich nicht mit den Anderen auf der Renahara zum Einkaufen auf dem Samstagsmarkt nach Lautoka fahre, was ich ein bisschen schade finde. Per Boot nach Lautoka zum Einkaufen und in der Gruppe mit weiteren Seglern, die sich angeschlossen haben, wäre bestimmt lustig geworden.
Höchste Zeit endlich das Rohrgerüst für den Dodger anzubauen. Ich hatte zwar schon angefangen, doch dann festgestellt, dass mir die passenden Holzschrauben fehlen. Die hatte ich nun am Donnerstag in Lautoka besorgt, bevor ich beim Customs war.
Natürlich passen dann die umgebauten Halterungen auch nicht richtig. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Die Löcher in den Rohrhalterungen, passend für den größeren Schraubendurchmesser, zu bohren wird zur Geduldsprobe. Hatte Martin nicht gesagt, VA Stahl ist schwer zu bohren? Wie recht er hat. Es sind nur zwei Löcher, die etwas erweitert werden müssen. Doch es dauert Stunden. Auch, weil der Bohrer immer wieder zu heiß wird. Manchmal fängt es schon an zu rauchen. Wahrscheinlich mache ich irgendetwas nicht richtig. Aber das ist mir nun auch ziemlich egal. Irgendwie muss das jetzt passend gemacht werden und Punkt!!!
Als ich die Halterung Samstagmorgen endlich montiert habe, passt das Gestänge nicht unter dem Baum durch. Zumindest lässt es sich nicht zusammenklappen ohne das ich den Baum mit der Dierk hochziehe. Ich überlege ob ich meinen Dickkopf durchsetze und es so lasse oder aufgebe und das Gestänge mit der Flex etwas kürze. Der innerliche Kampf nimmt den halben Vormittag in Anspruch, zwischendurch mit dem ebenfalls innerlichen Vorwurf, nicht mit der Flex arbeiten zu wollen. Doch dann hat mein Dickkopf verloren. Das Gestänge wird auf jeder Seite um 6 cm gekürzt, passt dann auch plötzlich so gut, dass es beim Zusammenklappen auf dem Holzrahmen der Windschutzscheibe zum Aufliegen kommt. In mir macht sich ein Gefühl der Zufriedenheit breit. Das Ergebnis war den innerlichen Kampf wert gewesen. Nun kann der Segelmacher kommen.
Am späten Nachmittag geht es für eine Nacht zurück in die Vuda Marina. Es ist das erste Mal, dass dort kein Platz für mich ist, weil die Marina voll ist. Doch ich darf trotzdem rein und der Wachmann teilt mir den Platz an der Tankstelle zu. Natürlich muss ich da morgens um 8 Uhr, wenn die Tankstelle wieder aufmacht, auch wieder weg sein. Aber das ist kein Problem. Mein Mitsegler wird morgens gegen 5 Uhr von dem vorbestellten Taxi abgeholt und zum Flughafen gebracht. Bis 8 Uhr habe ich Wasser getankt, meinen Müll entsorgt, die Marina-Nacht bezahlt und bin schon wieder auf dem Weg zurück zur Saweni Bay.
Lustig ist der Samstag Abend in der Vuda Marina Bar. Oktoberfest in Fiji. Das einheimische Personal im Dirndl und Lederhosen-Imitat zu sehen, ist schon mehr als ungewöhnlich und komisch. Aber der Abend ist unterhaltsam. Weil die Tische alle belegt sind, setzen wir uns zu einem Paar an den Tisch, an dem es noch zwei freie Sitzplätze gibt. Es stellt sich heraus, dass es australische Segler sind und wir uns gegenseitig während der Saison schon mehrfach von weitem gesehen haben. Schnell haben wir gemeinsame Themen bei einer Maß Bier. Das Bier ist denn auch kein typisches Oktoberfestbier. Die Auswahl besteht zwischen Fiji Gold oder Fiji Bitter.
Im Allgemeinen treibt mich jedoch plötzlich ein ganz anderes Thema um und berührt mich sehr.
In einem Gespräch nehme ich unvermittelt wahr, dass dort eine Lüge, eine Unwahrheit ausgesprochen wird. So etwas habe ich schon lange nicht erlebt, wird mir im gleichen Moment bewusst. Es geht mir in dem Augenblick auch nicht darum, es richtig zu stellen oder aufzudecken, denn es ist mir auch gleichzeitig klar, dass niemand durch diese Worte wirklich zu Schaden kommen wird.
Doch wie fremd fühlt es sich für mich an. Ganz überraschend. Wie aus einer anderen Welt. Ich horche in mich hinein und überlege, wann ich das letzte Mal bewusst wahrgenommen, dass jemand die Unwahrheit spricht. Ich kann mich nicht erinnern. Ich spreche mit einer Freundin darüber und auch sie stutzt im ersten Moment. Es ist ein ganz anderer Aspekt dieses Lebens. Im täglichen Umgang gibt es vielleicht ein Verschweigen, manchmal etwas „Seemannsgarn“, was eher einen Unterhaltungswert hat, oder eine anders klingende Erinnerung und Wahrnehmung.
Ich nehme es für mich zum Anlass einmal den Begriff bei Wiki nachzulesen. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Lüge
Nun könnte man mich für naiv halten. Doch bin ich das, wenn ich dieses Leben, als Leben ohne wirkliche Lügen empfinde?
Das Unwahrheiten sich auf ein so geringes Maß reduziert haben, dass sie mir dann direkt und als Besonderheit auffallen?
Wieviele Lügen gibt es im „normalen“ Leben?
Sprechen Politiker jemals die Wahrheit?
Mal ganz abgesehen davon, was täglich in Unmengen an Werbung auf uns einströmt, und wo es sich von der Masse schon gar nicht mehr lohnt „wahr“ und „unwahr“ zu unterscheiden?
Oder wo ich auch im meinem vergangenen Arbeitsleben oft erlebt habe, dass jemand versuchte durch Lügen und Unwahrheiten seine Mitmenschen nach eigenen Wünschen zu manipulieren? Wo, wenn ich selbst davon betroffen war, ich so manches Mal gedacht habe, was dass wohl soll und für wie dumm mich wohl so jemand hält?
Ich merke wie dieser Abstand zum täglichen Leben meine Seele entlastet hat. Und das mir der Begriff „wahr“ wieder sehr viel näher ist.
Laut Wiki
„Wahrheit ist als Abstraktum zum Adjektiv „wahr“ gebildet, das sich aus dem indogermanischen Wurzelnomen (ig.) *wēr- „Vertrauen, Treue, Zustimmung“ entwickelt hat.“
Und ich empfinde dies als ein weiteres Geschenk, dass mir dieses Leben auf dem Meer täglich gibt.
Schöner Bericht … aber in der Bildergalerie Fiji Teil 2 kommt die Meldung „ no images were found„
Grüße, Skipper aus Münster, Michael…
Danke für den Hinweis. It’s done.
Hello Hilde,
This is a beautiful insight into the mind of the mariner, and the way there is the space for thoughts to spread and extend.
You are still in Fiji. Did the tax get payable, or you left and returned?
Jude
Hey Jude,
No, not ’still in Fiji‘ it’s ‚again in Fiji‘.
Couldn’t win this fight with the tax. The officials were to confused about this in this special case 😉
But it’s ok because I will not stay during cyclon season in Fiji.
Hilde