Die erste Nacht in Tonga, vor Anker vor dem Pangaimoto und Big Mama schlafen wir wie die Toten. Der Ankeralarm gibt auch keinen Muks von sich, obwohl ich ihn auf eine relativ kurze Distanz eingestellt habe. Für mich die erste Nacht seit Monaten, wo ich durchschlafe. Grundsätzlich ziemlich ungewöhnlich für mich, aber scheinbar wohlverdient.
Morgens sammeln wir drei uns erst einmal ein bisschen, starten den Wassermacher, denn der 500 Liter-Tank war kurz vor der Ankunft leer. Das kenn ich doch irgendwie? Als ich mit Thomas von Fiji nach Neuseeland gesegelt bin, war der Tank auch einen Tag vor unserer Ankunft leer.
Auf jeden Fall hatte ich gestern Abend definitiv keine Lust mehr auf irgendwelchen Motorenlärm, der die entspannte Stimmung gestört und uns drei womöglich auch noch vom Schlafen abgehalten hätte.
Auch mein Kopf kommt jetzt langsam in Tonga an, als ich mich am frühen Morgen an Deck stehend so umschaue. Es wird hell, die Sonne geht hinter der Insel auf und es verspricht ein schöner Tag zu werden. Es ist warm, nicht zu warm, und es geht ein leichter Wind.
Das Big Mama ist noch da. Der Schriftzug an dem davor liegenden und halb im Meeresboden versunkenen Schiffswrack, ist kaum noch zu erkennen. Auch fehlen die Terrassen zum Meer hin, die Aussensitzplätze. Da hat Gita (oder war es der Cyclon danach?) Anfang diesen Jahres ziemlich reinen Tisch gemacht. Doch das Hauptgebäude steht schon wieder und hat auch schon ein neues Dach. Es scheinen genügend Spenden für den Wiederaufbau zusammen gekommen zu sein. Später werden wir auch noch weitere Spuren sehen, die die Cyclon-Saison in diesem Jahr auf Tonga hinterlassen hat. So ist auch im Hafen von Nei’afu der Bootssteg für die kleinen Boote und Dingis, der ohnehin schon ziemlich wackelig aussah, fast völlig verschwunden. Nur noch ein paar Piles lassen ahnen, das hier vorher etwas war. Vielleicht bauen sie ja jetzt dort einen richtigen Steg, denn der alte war nur etwas für mutige Menschen mit einem guten Balancegefühl.
Wir müssen rüber in den Hafen nach Nuku’alofa zum einklarieren. Beim ersten Tageslicht hatte ich die gelbe Q- Flagge endlich hochgezogen, denn auch dazu verspürte niemand gestern Abend mehr die Lust.
Während der Wassermacher läuft, legen wir die Bilge trocken. Demnächst muss die mal mit Süßwasser nachgespült werden. Aber nicht heute.
Und dann geht’s Anker auf. Bevor wir loskommen, kommen noch drei junge Leute vom Nachbarboot und wollen uns hilfreiche Tipps fürs Einklarieren mitgeben. Doch ich war ja schon zweimal hier und weiß in etwa wie es läuft. Am Q-Dock festmachen, sich bei Customs melden und anschließend auf Health und Biosecurity warten. Und im Prinzip sind die Tonganer ziemlich locker und entspannt. Nicht einmal ‚eine Notice in Advance‘ war erforderlich.
Wir passieren die Hafeneinfahrt und halten direkt auf den Q-Dock zu. Zu dumm, dass er schon besetzt ist. Und an den dort liegenden Segler können wir auch nicht seitlich heran gehen, denn er hat dort sein Dingi liegen. Ok. Dann eben anders.
Wenn man hier nicht am Q-Dock festmachen möchte, heißt es Anker fallen lassen, rückwärts an den Hafen-Schutzwall und dort mit zwei Landleinen festmachen. Dazu benötigen wir lange Taue und das Dingi. Wie gut das ich zwei Leute Crew an Bord habe. Die beiden kommen jetzt richtig ins Arbeiten. Die Taue sind tief in den Backskisten vergraben, dass Dingi noch fest vertäut von der Überfahrt und zudem mit leerem Tank. Während die beiden am suchen sind, drehe ich mit der Amiga eine Runde nach der anderen im Hafenbecken. Das braucht jetzt etwas Zeit. Schließlich und endlich sitzen die beiden im Dingi, nachdem ich noch einmal in zwei Sprachen erklärt habe, wie wir vorgehen werden: Amiga lässt Anker fallen, fährt rückwärts Richtung Hafenwall und die beiden versuchen so schnell wie möglich zunächst die leichte Schwimmleine an Land zu bringen und die Amiga erst einmal damit zu vertäuen. Soweit der Plan.
Hatte ich schon erwähnt, dass wir bei dieser Aktion den Wind von der Seite mit 15 bis 20 Knoten haben? Es ist zwar eine große, um nicht zu sagen riesige Parklücke, in die wir das rückwärts rein müssen, doch der Wind wird uns unweigerlich aufs nächste Boot drücken, wenn wir nicht schnell genug sind.
Ok. Es geht los. Anker fallen lassen, rückwärts fahren…. Und dann kommt der Ruf „Der Vorwärtsgang vom Aussenborder geht nicht!“ Uups!!! Aussenborder kaputt??? „Es funktioniert nur der Rückwärtsgang!!!“ Wieso Rückwärtsgang?! Dieser Aussenborder hat doch keinen Rückwärtsgang!!! Ich muss vom Ruder weg und erst mal in das Dingi schauen, was da los ist. Na klar kann man den Motor um 180° drehen und dann fährt das Dingi rückwärts. Doch so macht man eigentlich wohl nicht.
Inzwischen treibt uns der Wind auf das nächste Boot zu. Schnell die Amiga mit Motorkraft abfangen, bevor wir dem anderen Boot ungewollt zu nahe kommen.
Im zweiten Anlauf schaffen wir es dann besser und der auf dem Wall stehende Taxifahrer, hilft meinen beiden Mitseglern die Amiga, trotz Wind, mit viel Muskelkraft gut zu vertäuen.
Die zweite Leine und später noch eine dritte halten die Amiga dann sicher in Position.
Das klappte trotz der kurzen Stressphase prima. Wenn ich da an das Hafenkino denke, dass ich rudernd bzw eben nicht rudernd vor zwei Jahren hier hingelegt habe, wo mir die Moano dann noch zur Hilfe kommen wollte, weil ich diese beiden blöden Paddel des Dingis einfach nicht koordiniert bekommen habe, war die Sache mit dem Aussenborder wirklich harmlos.
Der Taxifahrer der uns geholfen hat, den kenn ich doch? Der steht immer hier und hofft auf ein Geschäft mit Seglern. Vor drei Jahren hat er sich über Fisch von der Pacifico gefreut und uns am nächsten Tag dafür Bananen gebracht.
Und ich finde, dass er sich heute auch ein Geschäft mit uns verdient hat. Er könnte mich zum Customs-Office fahren, nachdem ich erst einmal in der Stadt Geld und eine Sim-Karte mit Internet-Guthaben besorgt habe. Internet ist gerade das Wichtigste überhaupt. Wir fiebern danach, uns endlich bei unseren Angehörigen und Freunden melden können. Schreiben, dass alles in Ordnung ist. Von unterwegs war das ja nicht möglich gewesen, genausowenig wie wir Wetterdaten über das Iridium empfangen konnten.
Und der Taxifahrer erinnert sich an mich, an Hermann, nur „das war doch ein anderes Boot?“ War es. Er findet, die Amiga sieht stabiler und sicherer aus. Das er die beiden Boote aus dem Gedächtnis nach drei Jahren miteinander vergleichen kann? Na, so ganz traue ich diesem Gedächtnis dann doch nicht. Aber es ist nett gemeint. Und nett gemeint ist auch, er hat für uns schon Customs angerufen. Deswegen können wir nun noch nicht losfahren, denn der Beamte kommt gleich. Heute ist Samstag und da hat das Customs-Büro eigentlich geschlossen. Er hat ihn also zu Hause angerufen. Ich werte das mal als Overtime und dass das der Grund ist, warum ich hier, für etwas das eigentlich nichts kostet, später 120 Panga (etwa 45 €) bezahlen muss.
Der Zollbeamte kommt tatsächlich kaum 10 Minuten später und den Papierkrieg erledigen wir kurzer Hand in seinem Dienstfahrzeug, dass nun ein fahrbares Büro ist. Schnell und unkompliziert. Nun noch kurz per Taxi in die Stadt Bargeld, Internet besorgen. Auf dem Rückweg kaufe ich noch schnell drei halbe Grill-Hähnchen mit Tapioka vom Markt-Barbeque-Anhänger, denn sicherlich gibt es an Bord nicht nur virtuellen Hunger, sondern auch schon knurrende Mägen. Es ist schließlich schon früher Nachmittag, als ich zurückkehre und schon lange Over-Lunchtime.
Ben bekommt für den gleichen Tag noch einen Flug von Nei’afu zurück nach Auckland. Er muss schon am Montag wieder arbeiten. Er wird später von ‚unserem‘ Taxifahrer Inoke abgeholt und zum Flughafen gebracht. Die Bettwäsche und Handtücher von der Reise nimmt der Taxifahrer auch gleich mit, da er auch einen Laundry-Service anbietet. (Zu einem horrendem Preis, wie ich am nächsten Tag feststelle). Aber da haben wir für Dienstag auch schon eine Taxi-Insel-Rundtour bei ihm gebucht und ich habe keine Lust auf Diskussion. Ich sehe es dann gelassen und als wirtschaftliche Unterstützung für Tonga.
Die Tour findet am Dienstag statt, weil Montag passt unserem Inoke nicht so gut: „montags müssen wir uns von dem Sonntag erholen“. Klar, Kirche und Familie den ganzen Tag ist anstrengend. Das erinnert mich lebhaft an Samoa, wo wir vor zwei Jahren an einem Donnerstag nach einem nationalen Feiertag angekommen sind. Damals hieß es „vor Montag geht gar nichts“, weil man sich erst einmal von dem Feiertag erholen musste.
Der Sonntag ist also heilig. Es wird nicht gearbeitet und ich nehme das für mich wörtlich und rühre mich nicht vom Fleck. Ole erkundet Nei’afu, wo fast alle Geschäfte und Restaurants, Bars etc geschlossen haben. Auf dem Rückweg kommt er mit unserem Bootsnachbarn ins Gespräch, der gerade auf dem Weg zum Fishing-Club ist, um dort ein Bier zu trinken.
Eine halbe Stunde später folgen wir dem englischen Nachbarn, denn auch wir haben große Lust auf ein kühles Bier und etwas Small-Talk. Wieder wundert mich das Gedächtnis der Menschen, denn der Bar-Besitzer weiß sogar noch, wo wir vor zwei Jahren gesessen haben und an welchem Tisch er selbst an diesem Abend gesessen hatte. In Deutschland hatte ich nie das Gefühl, dass sich jemand an mich erinnert und ich fühlte mich häufig eigentlich eher unsichtbar. Ob es daran liegt, das hier weiß-blond eher eine ungewöhnliche Haarfarbe ist?
Nach einer Weile fängt unser Boots-Nachbar an von sich zu erzählen. Er ist seit 35 Jahren auf seinem selbstgebauten Zement-Boot unterwegs und mindestens schon viermal um die Erde gesegelt. Ein Buch hat er auch geschrieben. Spannend und interessant – sowohl der Mann, als auch seine Beschreibungen. Gelebt hat er von dem, was er sich unterwegs mit Arbeit verdienen konnte. Jetzt bekommt er eine kleine Rente aus England und hat ein gesichertes Einkommen. Groß genug, um davon in Europa und an Land leben zu können, ist diese Rente allerdings nicht. Er geht auf die siebzig zu und lebt allein an Bord. Ist immer noch unterwegs. ‚Wie lange kann man so etwas machen?‘ frage ich mich. Er ist ja nicht der einzige, den ich unterwegs so treffe, der Einhand unterwegs ist und wo es keine Pläne für das Alter gibt. Habe ich eigentlich welche?
Am Montag gehen wir in die Stadt bummeln. Naja, nicht so richtig bummeln. Wir gehen einen Burger essen und anschließend in die Markthalle um Obst und Gemüse einzukaufen. Dann erstehen wir dort noch ein paar Andenken. Das wars.
Als wir zurück zu unserem Dingi kommen, treffen wir dort die Crew der Sol, einem Katamaran, der kurz nach uns in Nei’afu eingelaufen ist. Wir sind neugierig, warum dort am Ankunftstag gleich der Krankenwagen vor dem Kat auf dem Hafenwall stand. Hatten wir schon diverse Brüche eines Crewmitglieds vermutet, war es Gott sei Dank nur ein ausgekugeltes Knie. Der Mitsegler war noch am gleichen Tag vom Krankenhaus zurück an Bord gebracht worden. Der Unfall war wohl bei dem Anlegemanöver passiert und nicht auf See, wie wir befürchtet hatten. Eine Vorstellung, die bei mir doch richtiges Unbehagen ausgelöst hatte und eben auch mein Kopfkino auf Hochtouren hatte laufen lassen. Da ist es schon eine Beruhigung zu erfahren, dass alles glimpflich abgelaufen ist.
Dienstag Morgen, pünktlich um 10 Uhr, holt Inoke, unser Taxifahrer, uns für die vereinbarte Inseltour ab. Zu den Sehenswürdigkeiten dieses Tages gehören der Platz, an dem Thomas Cook seinerzeit gelandet ist und das tonganische Stonehenge. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen konnte man lange bevor die Europäer hierher kamen, mit dem Stand Sonne über/unter/durch dieses Steindenkmal den längsten und kürzesten Tag des Jahres bestimmen. (Wir haben nicht wirklich herausfinden können, wie das wohl funktioniert hat.) Dann geht es weiter zu den Caves, die sich unter der ganzen Insel durchziehen sollen und weiter zur dreiköpfigen Palme (Inoke fragt ob anhalten soll, damit wir die Palme in Augenschein nehmen können. Soll er nicht!)
Lieber einen Zwischenstopp in einem tonganischen Mittagsimbiss. Lammfleisch in Taroblättern, serviert in Alufolie und damit zumindest einigermaßen warm, was ja nicht selbstverständlich ist, und dazu gekochte Tapioka, welche vom Geschmack her Ähnlichkeit mit Kartoffeln hat. Nicht das wir das zukünftig häufiger essen mögen. Satt und gestärkt geht es wenig später weiter und Inoke macht einen sehr zufriedenen Eindruck. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der zufriedene Eindruck jetzt vom Essen kommt oder weil ich ihn dazu stillschweigend eingeladen habe.
Das beeindruckendste an diesem Tag, da sind wir uns absolut einig, ist der mitten in der Wildnis liegende Tsunami-Felsen. Wie genau dieser riesige Koloss dort hingekommen ist, weiß niemand. Doch auf Satellitenbildern ist eindeutig zu erkennen, dass er aus einem der Insel vorgelagertem Riff stammt. Versteinerte Muscheln und Korallen sind leicht an dem Koloss zu entdecken. Es wird vermutet, dass er von einem Tsunami dorthin getragen wurde (daher der Name). Doch ebenso gut könnte auch ein Vulkanausbruch dafür verantwortlich sein. Welche Kräfte hier auch immer gewirkt haben mögen, sie müssen gewaltig gewesen sein. Ganz unglaublich.
Zum Abschluss noch zu der Stelle auf der Insel, an der mehr als 100 Jahre vor Cook der holländische Entdecker Tassman gelandet ist. Er war wohl damals schon überrascht, wie freundlich und entgegenkommend dieses Inselvolk ist. Eben ‚friendly islands ‚ – Tonga.
Vor zwei Jahren hatte ich schon einmal eine ähnliche Rundfahrt mitgemacht. Damals war ich mehr als betroffen von der Armut, in der die Menschen hier leben. Ich fühlte mich schlecht, weil wir auf der Pacifico alles hatten und hier so vieles zu fehlen schien. Heute war mein Gefühl ein ganz anderes und ich habe selbstkritisch in mich hineingehorcht, woran dass wohl liegen könnte. Gründe dafür sind sicherlich, dass es häufig sehr viel gepflegter um die Häuser aussah, als noch vor zwei Jahren. Ich habe auch inzwischen Orte auf den Inseln gesehen, wo die Menschen noch deutlich weniger haben. Aber ich habe in den letzten beiden Jahren auch erlebt, dass es selten wirklich unglückliche Menschen gibt verglichen mit den Menschen in Europa. Vielleicht wirkt es auf mich auch nur so, weil die Menschen, denen ich begegnet bin, alle so freundlich, offen und hilfsbereit sind und so eine ungezwungene Leichtigkeit nach außen tragen. Mich beeindrucken diese Menschen immer wieder, die mit wenig Mitteln, kaum Schulbildung, ohne Reichtümer, doch von Herzen das teilen, über das sie verfügen. Etwas, dass die moderne Welt in den jüngeren Generationen verändert, wie Hermann letztes Jahr aus seinen Erfahrungen auf Fulaga berichtet hat. Doch das wird wohl kaum aufzuhalten sein.
Bevor wir zurück zur Amiga fahren, besorgen wir noch eine Tonga-Gastlandflagge, eine paar Eier vom Markt und zwei Kanister Diesel. Als alles an Bord ist, gehen wir auch gleich Anker auf. Eine Tonga-Cruising-Permit für Vava’u hatte ich schon vormittags besorgt, so dass keine weiteren Behördengänge uns hier festhalten.
Das einzige was uns dennoch festhält und mich in Ungnade bei unserem englischen Bootsnachbarn fallen lässt, ist ebendessen Ankerkette, die am Anker der Amiga hängt. Der dunkle Gedanke, dass etwas in der Art passieren könnte, kam mir schon am Sonntag Abend, als uns der Engländer ganz stolz erzählte, dass er von seinem Boot aus, sage und schreibe, drei Anker ins Hafenbecken ausgebracht hatte. Und die Amiga war wegen des starken Seitenwindes schräg vor ihm vor Anker gegangen.
Nach einigem hin und her, einem verärgertem Bootsnachbarn, einem von diesem abgelehnten Hilfsangebot, verlassen wir dann Nuku’alofa mit Ziel Big Mama.
Den Mittwoch noch etwas relaxen, Big Mama einen Besuch abstatten und am Donnerstag dann weiter Richtung Norden.
Unser Ziel ist Haapai, insbesondere die bezaubernde Südseeinsel Uoleva. Da wir dort tagsüber nicht in einem Törn hinkommen, machen wir einen ersten Zwischenstopp in Kelefesia.
Um dort hinzukommen, dürfen wir unterwegs nicht trödeln. Auch wenn ich schon einmal dort war, möchte ich dort nicht bei Dunkelheit ankern. Wir werden schließlich mitten ins Riff fahren und irgendwo war da noch ein Stein im Weg, der in der Karte nicht verzeichnet ist. Und so unglaublich es in dieser Einsamkeit ist, schnappt uns doch die Sol, die den ganzen Tag hinter uns hin und her gekreuzt ist, die beste Ankermöglichkeit vor der Insel weg? Sie hatten auf den letzten Meilen direkt Kurs auf Kelefesia gehalten und da war der Kat natürlich um einiges schnelles als wir. Wir hatten uns den ganzen Tag ohnehin schon gewundert, warum die immer hin und her gefahren sind, obwohl es doch ein guter Am-Wind-Kurs war. Ob wir wohl irgendwann einmal des Rätsels Lösung erfahren werden? fragen wir uns später beim Abendessen. Vielleicht haben sie wegen der Kinder an Bord die Schaukelei mit dem bis zu drei Meter hohen Schwell vermeiden wollen. Wer weiß?
Die Einfahrt mit dem letzten Tageslicht ins Riff vor Kelefisia zu dem geschützten Ankerplatz ist ein Abenteuer für sich. Der Schwell hebt die Amiga an und trägt uns in die Lagune. Leise donnernd brechen die Wellen, gefühlte nur jeweils zwei Bootslängen links und rechts, auf dem Riff neben uns und laufen dort schäumend aus. Geschafft. Wir blicken zurück und staunen, wie eng die Einfahrt jetzt aussieht.
Ole stürzt sich gleich nach der Ankunft in die Fluten, schaut auch nach dem Anker. Der liegt neben einem Stein. Daneben -sollte wohl kein Problem am nächsten Morgen sein. Ist es auch nicht. Kein Problem beim Anker auf.
Ich wollte eigentlich am nächsten Tag weiter nach Uoleva. Doch als wir dann noch einmal die mögliche Route checken, sind wir einhellig der Meinung, dass wird mühsam. Kreuz und quer, weil immer wieder Riffe und Untiefen auf dem Weg liegen, denen wir dann ausweichen müssen. Haben wir darauf Lust? Und dann das Risiko eingehen, dass ja hier und da die Karte nicht stimmt und man immerzu intensiv gucken und aufpassen muss? Nein. Haben wir nicht wirklich. Also wird es einen weiteren Zwischenstopp in Haafeva geben, wo ich eigentlich nicht hin wollte, weil wir dann die letzten 18 nm nach Uoleva gegen den Wind müssen.
Der Wind ist am Feitag morgen anfangs noch etwas schwach, nachdem wir Kelefesia wieder verlassen haben. Drüben auf dem Kat rührt sich bei unserer Abfahrt noch nicht viel. Die schlafen wohl noch. Unserem Track des Chartplotters vom Vortag folgend, fahren wir aus dem Riff wieder heraus. Auf dem Track deshalb, weil da sicher ist, dass auch bei noch so schlechter Sicht, kein Riff und kein Stein im Weg ist. Das hätten wir ja anderenfalls wohl gestern Abend gemerkt.
Anfangs läuft Mister Perkins noch mit. Dann ist der Wind gut genug zum Segeln. Mit einem Wind von 9 bis 12 Knoten läuft die 17 to schwere Amiga mit einer Geschwindigkeit von 4,5 bis über 5 Knoten. Dass ich das noch erleben darf. Wow. Es ist doch höchst erstaunlich, was so ein sauberer Rumpf ausmacht. Noch hat sich nichts auf dem neuen Antifouling niedergelassen. Dazu kommt natürlich die geringe Wellenhöhe. Nichts, gegen das die Amiga kämpfen muss.
Die Sonne scheint warm auf uns hinunter. Um uns herum einladende Südseeinseln mit ihren Palmen und weißen Stränden und davor das blaue und manchmal türkis leuchtende Meer. Südseecharme pur. Ihre weißen, windgefüllten Segel lassen die Amiga stetig durchs Wasser gleiten. Ich fühle seit langen zum ersten Mal wieder die Leichtigkeit des auf-dem-Meer-unterwegs-sein. So erhebend und nachhaltig, dass ich es auch nachts in meinen Träumen noch spüren kann und ich frisch und erholt am nächsten Morgen aufwache.
Unser Bordleben spielt sich langsam ein und ich fange erstmals an, diese Reise wirklich zu genießen. Die geleistete Arbeit, der selbstgemachte Druck der letzten Wochen, alles fällt nun langsam von mir ab.
Es wird immer etwas zu tun sein und zu reparieren geben. Das gehört einfach dazu. Ole findet es ganz erstaunlich, was an Bord alles kaputt gehen kann. Nach einen kleinen Knall, der dann doch leider kein Sektkorken war, fällt etwas klirrend aufs Deck. Es dauert eine Weile, bis ich herausgefunden habe, was passiert ist. Der Antennendraht der AIS Antenne ist oben von der Mastspitze abgebrochen und direkt aufs Deck gefallen. Auch wenn es eine ältere Antenne ist, kann man sich da wirklich nur wundern, wie so etwas passieren kann.
Wie gut, dass Hermann noch in Whangarei ist und ich eine entsprechende Ersatzteilbestellung beim ihm aufgeben kann. Bei der Gelegenheit fällt mir noch das eine und andere ein, was noch kaputt gehen könnte. Einiges, wo ich noch keinen Ersatz an Bord habe und jetzt aus der Erfahrung der letzten zwei Wochen doch gerne Reserven zur Verfügung hätte. Also bitte ich Hermann noch weitere Einkäufe für mich zu tätigen, solange es möglich ist. Muss nicht gleich sein, dass ich die Sachen bekomme. Doch irgendwo werden wir uns unterwegs schon treffen. Dann ist es noch Zeit genug. Hermann meint zunächst, es sei ja nicht so viel wie im letzten Jahr, was die Pacifico für die Amiga nach Fiji transportieren müsste. Oder doch?
Am späten Nachmittag gehen wir vor Haafeva für die Nacht vor Anker. Neben uns liegt der große Katamaran Wildlife, den wir zuletzt im Town Basin in Whangarei gesehen haben. Sie starten am nächsten Morgen vor uns. Wir haben an diesem Tag keine Eile, denn es sind nur 18 Meilen bis Uoleva, wo wir am frühen Nachmittag eintreffen.
Wir besuchen die beiden kleinen Ressorts vor unserem Ankerplatz. Das erste ist geschlossen. Schon seit fünf Jahren erzählt uns der Inhaber des Nachbar-Ressorts. So ganz stimmt das nicht, denn vor zwei Jahren haben wir dort in der Küche noch einen Kaffee getrunken. Doch offensichtlich hat der Ressortinhaber ein anderes Zeitgefühl. Das wird mir deutlich, als er auch meint, es müsste schon sehr viele Jahre her sein, wo ich das letzte Mal hier war. Es sind immer noch ziemlich genau zwei Jahre her, als ich mit Hermann und der Pacifico hier war.
Wir machen noch ein bisschen Small-Talk mit dem Paar, dass hier den Tag einen guten Tag sein lässt, weil zur keine Gäste zu versorgen sind. Wenig später wandern wir begleitet von den beiden Ressort-Hunden noch ein Stück den Strand entlang. Dabei tragen wir drei Pappaya in der Tasche, ein Geschenk der beiden, die für die nächsten Tage für unser Frühstück gedacht sind.
Uoleva ist eine idyllische Insel mit einem unvergleichlich schönen Strand der sandig ins Meer hinabfällt. Ohne lästige Riffe davor. Riffe findet man erst wieder auf der Ostseite der Insel und im Norden. Doch hier, wo wir ankern, ist es einfach Strand pur, Palmen und grüne Büsche, dazwischen versteckt und kaum sichtbar fünf kleine Ressorts mit nur ganz wenigen Gästen. Wenn hier im Moment überhaupt Gäste sind. Die Saison startet eigentlich erst im Juli, wenn die Wale nach Tonga kommen. In diesem Jahr vielleicht schon einen Monat früher, weil im Juni besondere Events anstehen. Beispielsweise so etwas wie der Geburtstag des Königs, der in diesem Jahr hier gefeiert werden soll. Also auf Lifuka in dem Hauptort Pangai und nicht hier auf Uoleva. Es werden nicht nur die Bewohner der Inselgruppe Haapei erwartet, sondern auch internationale Gäste. Zu denen gehören dann wohl auch die Meerbaers????
Nach ein paar entspannenden und genussvollen Tagen ziehen wir weiter nach Pangai. Wir ankern vor dem Café/Hotel, dass von einem australischen Segler betrieben wird. Die Preise, meinen wir, haben es in sich. Immerhin zahlen wir für zwei übersichtliche Burger mit Pommes und zwei Becher schwarzen Kaffee insgesamt rund 25 €. Es damit ist es um einiges teurer hier, als in Nuku’alofa. Verbuchen wir das denn mal als Subvention, damit er irgendwann eine Dingi-Zufahrt durch das Riff zu seinem Hotel schaffen kann.
Bei unserem Rundgang durch Pangai am nächsten Tag müssen wir noch unbedingt in Mariners Bar. Das kleine Lokal wird seit elf Jahren von einer Polin betrieben, die, wie kann es anders sein, auch damals mit einem Segelboot hergekommen und dann hiergeblieben ist. Ich war einen Tag vorher über einen neuen Facebook Kontakt von einer deutschen Seglerin darauf aufmerksam gemacht worden.
Wir tragen uns dort ins Gästebuch für Segler ein und blättern auch gleich ein wenig in dem Buch herum. Viele bekannte Bootsnamen sind seit 2015 dabei, wie zum Beispiel Sabir oder Enough. Ist schon interessant, so ein bisschen zu spökern und ich finde, so ein Gästebuch ist eine tolle Idee. Hoffentlich hält der mittlerweile zerfledderte Einband noch ein paar Jahre durch.
Am frühen Nachmittag geht es wieder Anker auf. Nur 8 Meilen weiter nördlich ist ein Ankerplatz im Riff der nördlicher gelegen Insel mit dem kleinem Inselchen Setila. Ole nutzt den sonnigen Nachmittag für einen Landgang dort. Wegen der Flut ist leider wenig von dem großen Riff zu sehen, auf dem man bei Ebbe gut entlang wandern kann. Ich mache es mir an Bord gemütlich während dieser Zeit, denn ich hatte diese Ecke ja schon vor zwei Jahren erkundet. Das erfrischende Lüftchen an Bord finde ich in diesem Moment einfach reizvoller, als in der Hitze der windgeschützten Landseite spazieren zu gehen.
Es ist noch dunkel, als wir am nächsten Morgen aufstehen, um frühzeitig zu frühstücken und die Amiga startklar für die nächsten 60 Meilen nach Vava’u zu machen. Wir haben für diese Strecke nur etwa 10 Stunden gutes Tageslicht. Danach würde es bei unbekannten Ankergründen wegen der Lichtverhältnisse schwierig werden sicher anzukommen.
Der vorhergesagte Wind bleibt jedoch aus. Na toll. 10 Stunden unter Motor, immer in der Hoffnung, dass der Wind doch noch auf die 13 bis 15 Knoten zulegt, die er eigentlich haben sollte. Doch es bleibt fast die ganze Zeit weit unter 10 Knoten und die Segel haben einfach nur Hilfsfunktion. Aber wenn der Motor schon mal läuft, kann auch der Wassermacher laufen. Und zwar solange, dass er es erstmals schafft den 500-Liter-Tank auch ganz zu füllen. Das hat doch was. Ich bin, auch wenn alles anders läuft, als geplant, schlichtweg begeistert.
Der erste Schluck Wasser, den dieses Gerät ja noch in Neuseeland in der McLeodsbay produziert hatte, schmeckte schon wunderbar. Wasser das wunderbar schmeckt? Ja, abgesehen vom eigentlich Geschmack oder Nicht-Geschmack, je nachdem, wie man es betrachten will, war es für mich der Geschmack einer ganz anderen Freiheit und Unabhängigkeit. Es schmeckte ganz wundervoll nach „ich-muss-mir-keine-Sorgen-machen“ und „jetzt-habe-ich-genug-Wasser“. Ich brauche mir keine Gedanken mehr zu machen, wenn der Tank leer ist, egal wohin es mich mit der Amiga treibt. Brauche nicht zu überlegen, wo ich in der Wildnis genügend Trinkwasser herbekomme. Es ist fast, als würde ich ganz selbstverständlich einen Wasserhahn mit einer nichtversiegenden Quelle dahinter aufmachen können. Was für ein Luxusgefühl.
Auch bin ich froh, dass ich in Whangarei noch die Batteriebänke aufgestockt habe. Denn jetzt reicht die Bordenergie auch, um völlig unbedenklich nachts den Kühlschrank durchlaufen zu lassen, der hier in den Tropen natürlich viel häufiger anspringt. Und eben auch, um den Wassermacher mal ein Stunde mit Sonnenenergie laufen zu lassen. Ist das nicht fantastisch?
Am Nachmittag tauchen dann endlich die ersten Inseln von Vava’u am Horizont auf. Doch zeitlich wird es knapp. Ich habe einen der ersten von vielen ausgewiesenen Ankerplätze gewählt, um noch möglichst viel Tageslicht beim Ankern zu haben. Kurz vor dem Ziel, rollen wir die Genua ein und holen das Groß herunter. Der Ankerplatz ist auf der Karte in einer großen Lücke rechts vor uns zwischen den Riffen vor einer Insel, die guten Windschutz für die Nacht bietet. Ich halte auf die Mitte dieser Ankerbucht im Riff zu. Ole steht im Bug, macht den Anker bereit und hält Ausschau. Das Wassertiefen schwer einzuschätzen sind, weiß ich nun lebhaft aus eigener Erfahrung. „Dort sieht es tiefer aus als auf dieser Seite“ meint Ole und zeigt nach Steuerbord. Soll es wohl, denn wir sitzen schon auf einem Riff. Ok, es hat nicht gerumst. Es ist eher ein sanftes hinübergleiten. Doch wir sitzen eindeutig fest. Ole wundert sich, warum ich plötzlich so langsam fahre und dann eher scharf nach rechts steuere und auch etwas mehr Gas gebe.
Nach links mag ich, nach einem kurzen Blick aus dem Augenwinkel, gar nicht ins Wasser schauen. Ich sehe dort flüchtig jeden Stein, jede Pflanze, jeden Fisch. Wie im Aquarium. Bloß jetzt nach rechts ins eindeutig tiefere Wasser steuern. Zurück geht gar nicht, denke ich in diesem Moment. Ich weiß nicht, was da ist und will es auch gar nicht so genau wissen. Erst einmal rede ich meiner Amiga gut zu „das schaffst du schon!“ Dann gebe ich nochmals kurz Gas im Vertrauen auf dem starken Motor und die relativ große Schraube. Die Amiga fängt an sich wieder zu bewegen und rutscht geräuschlos in tiefere Wasser. Ich schaue noch mal auf den Chartplotter und auch aufs IPad. Laut Navionics sollte hier kein Hindernis sein!
Doch nicht genug damit, hält auch beim ersten Ankerversuch der Anker nicht. Beim Einziehen des Ankers rutscht er zu allem Überfluss von 5 m Wassertiefe auf 20 Meter ab. Bei mir beginnt jetzt das Kopfkino mal wieder zu arbeiten. Was, wenn der Anker jetzt hinter einen Stein gerutscht ist???!!! Alles deutet beim Hochziehen des Ankers darauf hin. Die Ankerwinsch arbeitet kräftig, aber nur Zentimeter weise wird die Ankerkette wieder eingezogen. Ob ich das jetzt wohl gebrauchen kann? Mittlerweile sind wir bei über 26 Meter Wassertiefe. Da muss der Anker doch frei sein! Wir hatten bei 5 m Tiefe nur 30 Meter herausgelassen und ein Stück haben wir doch auch schon eingezogen. Kopfrechnen funktioniert also noch. Das weiß wohl auch der Anker, dass ich richtig gerechnet habe, als sich kurz danach die Winsch nicht mehr so anstrengen muss und die Kette locker in den Kettenkasten im Bug läuft. Anker ist oben.
Glück gehabt.
Im zweiten Versuch ankern wir bei drei Metern, 45 m südlich der Stelle an der wir aufgesetzt hatten. Diesmal ziehe ich den Anker nur ganz sanft ein, da ich vermute das eine nur dünne Sandschicht vorhanden ist und darunter eben Riff. Die schwere Ankerkette muss ein Übriges tun, um die Amiga in dem leichten Wind heute Nacht am Platz zu halten. Sollte wider Erwarten doch Wind aufkommen, und zwar richtiger Wind, wird sich der Ankeralarm melden. Doch das wird nicht passieren.
Ole schaut bei seiner abendlichen Schwimmrunde auch noch einmal nach dem Anker, der, wie vermutet, nur halb eingegraben ist. Anker und Kette liegen im Sand. Keine Korallen oder Steine. Alles ist gut und nun ist Zeit für den fantastischen Abendhimmel, der sich uns gerade bietet und einen erfrischenden Sundowner.