Das Wetter ist in diesem Jahr anders. Auf die Tradewinds kann man nur hoffen, sich aber nicht wirklich darauf verlassen. Wenn sie dann endlich aus der Richtung kommen, aus der sie doch eigentlich überwiegend kommen sollen, dann nur für kurze Zeit. So müssen wir es eben so nehmen, wie es kommt und das Beste daraus machen, wollen wir nicht wochenlang umsonst darauf warten, ein gutes Wetterfenster zu bekommen.
Das eigentlich genau passende Wetterfenster für Samoa hat es sich letzten beiden Tagen entsprechend dieser jüngsten Erfahrung noch einmal anders überlegt. Egal jetzt.
Wir sind startklar, haben gestern schon ausklariert und jetzt ist es auch genug mit Tonga. Ich freue mich schon sehr auf Samoa, die Menschen dort und möchte einfach noch ein bisschen mehr vor allem von Savai’i kennen lernen.
Der Wind ist heute morgen noch etwas flau, doch gegen Mittag soll es draußen auf dem Pazifk konstant mit 10-12 Knoten aus Südost wehen. Genug Wind für ein gemütliches segeln zu unserem nächsten Ziel. Rekorde werden wir die nächsten Tage ganz sicherlich nicht brechen. Doch darauf kommt es mir auch gar nicht an. Es ist einfach schön unterwegs zu sein. Den Tag, Tag sein lassen. Ganz entspannt. Viel Zeit zum Lesen, träumen, denken, nachfühlen oder einfach nur genießen, das Meer einatmen, den Blick in Wolkengebilde versenken, hier und jetzt sein.
Ich falle diesmal schon fast routiniert in den Schlaf-Wach-Rythmus der eingeteilten Wachen, gehe um 21 Uhr schlafen, übernehme die Wache von 1 Uhr bis 5 Uhr morgens, um dann wieder schlafen zu gehen.
Nachts ist der Himmel sternenklar und es ist zunächst stockfinster. Die Amiga findet ihren Weg auch ohne viel Licht. Nur vom Wind getrieben, mal gemächliche 3 Knoten gleitend, dann wieder schneller mit vollen Segeln 5 Knoten Fahrt und mehr. Wenn nachts um zwei Uhr der Mond aufgegangen ist, werden die düsteren Wolkentürme sichtbar, die das Boot plötzlich so schnell vorwärts drängen. Häufig ist der Spuk innerhalb weniger Minuten vorbei und es geht mit gelassenen 3 bis 4 Knoten Fahrt weiter durch die Nacht.
Jeden Tag hängen von Morgens bis späten Abend die Angeln draußen. Zumindest den Blick auf einen kapitalen Fisch, der mit einem Köder wohl eher nur gespielt hat, lässt Ole nun doch darauf hoffen, irgendwann mal erfolgreich zu sein. Seit Neuseeland hat es zwar mehrere Bisse gegeben und eine Reihe von Ködern wurden ausgetauscht oder sogar ersetzt. Doch bisher gab es noch keinen frischen Fisch zum Abendessen. Ich schaue manchmal versonnen auf meine Angel, mein Nikloausgeschenk, das jetzt endlich einen Platz an der Reling gefunden hat. Eigentlich sieht es gut aus, denke ich. Ole hat mittlerweile den Köder so angebracht, wie ich es kenne. Ich wüsste jetzt nicht, was da noch besser gemacht werden kann. Wo also bleibt der MahiMahi????
Ich sitze im Schatten des Dodgers/Sprayhood und schaue auf meine Füße, die auf der Sitzbank in der Sonne liegen. Ich trage so gut wie nie Schuhe an Bord. Einzige Ausnahme ist, wenn die Temperaturen wirklich weit unter die Wohlfühlgrenze sinken. Häufig vergesse ich sogar Schuhe anzuziehen, wenn ich an Land gehe und muss dann manchmal nur deswegen noch einmal zum Boot zurück. Lästig. Meine Füße haben scheinbar eine ganz besondere Beziehung zur Amiga aufgebaut. Ich fühle nicht nur mit den Händen, sondern auch mit meinen Füßen mein Boot. Jeder Tritt wirkt vertraut, lässt mich die Amiga unter mir fühlen. Habe ich dann tatsächlich mal Schuhe an, stoße ich garantiert irgendwo gegen, trete an die falsche Stelle. Meine Füße sind dann irgendwie orientierungslos. Kaum vorzustellen? Ganz bestimmt für diejenigen, die überwiegend in ihrem täglichen Leben Schuhe tragen. Und es gibt ja auch viele, die Schuhe für einen Sicherheitsaspekt an Bord halten und mich da jetzt gar nicht verstehen können.
Man merkt, ich habe auf dieser gemächlichen Reise nach Samoa nicht viel zu tun. Über was man sich nicht so alles Gedanken machen kann?
Die zweite und die dritte Nacht fordern etwas mehr meine Aufmerksamkeit, als die erste. Auf dem AIS sind Schiffsbewegungen zu sehen. Das hatten wir auf der viel längeren Strecke zwischen Neuseeland und Tonga nicht ein einziges Mal. Das erste Schiff ist ein Frachter (?) namens Savannah. Henning hätte das jetzt gleich nachgeschaut, was das für ein Schiff ist: wohin, woher, welche Ladung? Mich macht gerade eher nervös, das der Frachter direkt auf uns zuhält. Da die Amiga bereits am Wind läuft, Segel Backbord, und vielmehr nicht drin ist, und der Frachter von Backbord direkt auf uns zuläuft, überlege ich, wie ich jetzt reagieren möchte. Anrufen und fragen, ob er hinter uns durchgeht mit entsprechender Kursänderung? Er ist ohnehin nur noch knapp zwei Meilen entfernt und kommt ständig näher.
Ich überlege weiter, dass unser Kurs uns zur Zeit wegen des drehenden Windes, schon fast westlich an Samoa vorbei führt. Und heute soll der Wind noch weiter auf Nord drehen. Wenn wir weiter auf dem Backbordbug bleiben, landen wir wohl eher in Keribati als in Samoa.
Also lasse ich die Savannah, Savannah sein, falle nach Backbord und Westen ab und warte bis sie vorbei ist. Dannach gibt es einen neuen Kurs Richtung 90° Ost. Passt gerade, da Ole nun seine Wache übernimmt und wir den Kurswechsel dann gleich zusammen vornehmen können. Durchs Arbeiten wird er auch gleich richtig wach und wobei er sich auch noch wundert, dass hier Schiffsverkehr ist.
Wenn wir ordentlich Ost gemacht haben, können wir dann auch, egal welcher Wind, am Freitag Abend vielleicht wieder auf Samoa zu halten.
Das der Wind nun am Freitag Mittag völlig einschläft, davon war in den Wettergrips vor zwei Tagen überhaupt nichts zu sehen. Zwölf Stunden muss Mr. Perkins nun Dienst tun, was überhaupt auf dieser kurzen Strecke von rund 400 Meilen nicht angedacht war. Der Pazifik ist „platt wie ein Pfannkuchen“.
„Kaffeefahrt“ mit Grosssegel und Motor. Fehlen nur noch die Kaffeegäste an Bord.
Ich schlafe direkt neben der Maschine und wundere mich immer wieder, dass ich in der Lage bin, diese Geräuschkulisse völlig auszublenden. Bin ich dann wieder wach, schaltet das Geräusch plötzlich von leise auf laut. War das vorher wirklich auch schon so laut?
Am Samstag morgen taucht in den blauen Wolken am Horizont Samoa auf. Unser Zielhafen Apia liegt ungefähr in der Mitte auf der anderen Seite der Insel. Durch den Kurs, den wir am Vortag angelegt haben, um einigermaßen gut segeln zu können, ist auch gleich die Entscheidung gefallen, nicht östlich an Samoa vorbei zu gehen. In dem Fall hätten wir mit dem Wind nach Apia zu segeln können. Nun werden wird statt dessen in Kauf nehmen, nachdem wir zwischen den beiden großen Samoainseln hindurch gefahren sind, vier Stunden an der Nordseite der Hauptinsel gegen den Wind unter Motor zu laufen.
Mir ist mal wieder nicht ganz wohl in meiner Haut dabei, weil wir frühestens abends um 23 Uhr dort sein können. Das heißt Untiefen und Riffe bei Nacht passieren, sich auf die Seekarte verlassend. Und auch bei Nacht zwischen den Riffen hindurch in den Hafen einfahren, wo wir vor zwei Jahren bei Tag schon nicht die angegeben Landmarken finden konnten.
Die Alternative wäre unerlaubt gegen 18 Uhr vor Anker zu gehen. Dazu auf einen Ankerplatz der wenig sicher aussieht und garantiert im Schwell liegt. Oder natürlich hier draußen vor den Inseln die Nacht über zu kreuzen. Oder sich die ganze Nacht treiben lassen.
‚Ok. Es hat ja in Tonga auch im Dunkeln geklappt‘, denke ich. Und auch da war ich ja vorher ziemlich aufgeregt und bis zum Ankerplatz angespannt. Noch Anfang letzten Jahrs hätte ich nie gedacht, dass ich überhaupt so etwas freiwillig machen würde. Bei Nacht irgendwo einlaufen. Damals hatte ich mich über die Erzählungen eines Skippers gewundert, für den Nachts ankommen in einem Hafen im Mittelmeer völlig selbstverständlich ist.
Ich bereite die Fahrt in der Dunkelheit auf meinem Pad vor, setze Wegpunkte auf der Seekarte, die das System direkt mit Linien verbindet. Dann zoome ich in die Karte hinein und prüfe entlang dieser Linien die ganze Strecke, die von Riffen, Untiefen und Steinen gesäumt ist. Dort wo es eng werden könnte, verschiebe ich die Wegpunkte in ungefährlichere Gewässer. Am Ende brauchen wir nur dieser Linie zu folgen, um sicher anzukommen. Hoffe ich mal. Wenn die Karte stimmt.
Inzwischen haben wir die Passage zwischen den beiden Samoainseln erreicht. Wie damals vor zwei Jahren mit der Pacifico, wo wir auch dieser Route gefolgt sind.
Zeit für mich persönlich an das Geschehen vor zwei Jahren zu gedenken. Erinnerungen an eine ganz besondere Frau, welche ich noch kennen lernen durfte. Sie ist damals eingeschlafen, als wir mit der Pacifico gerade hier zwischen den Inseln durchgefahren sind. In Gedanken sende ich Grüße an sie.
Als 10 Minuten später ein etwa 140 cm langer Wahoo an der Angel hängt, frage ich mich doch tatsächlich, ob das ein Geschenk von ihr ist?
Innerhalb von fünfzehn Minuten liegt schöne Tier an Deck. Das ging ja flott. Endlich der heissersehnte Angelerfolg für Ole und dann auch noch gleich so ein Prachtexemplar. Rechtzeitig mit dem letzten Tageslicht. Mindestens die Hälfte davon wird wohl in Gläsern landen, um fischlose Zeiten zu überbrücken.
Schnell ist es jetzt stockfinster. Wir folgen mit der Amiga der vorgezeichneten Linie auf der Karte. Die Lichter Samoas in wenigen Meilen Entfernung geben gute Orientierung. Doch trotzdem ist mir die Fahrt eigentlich zu schnell. Irgendwelche Urinstinkte möchten sich in der Dunkelheit lieber langsam vortasten, als mit 5 Knoten Geschwindigkeit ins schwarze und doch bewegte Nichts zu fahren. Es fällt mir schwer, den Gashebel nicht anzufassen und auf die Karte zu vertrauen. Es würde ja auch nichts ändern. Es ist vor uns einfach nichts zu sehen. Draußen auf dem Meer, im freien tiefen Wasser, habe ich damit nicht zu kämpfen. Hier weiß ich, dass es Stellen gibt, die plötzlich weniger an 5 Meter tief sind. Und gleich danach liegt die Meerestiefe wieder bei 34 Metern. Deshalb ist es natürlich auch kein Wunder, dass das Meer hier besonders bewegt ist.
Und hoffentlich sind alle Steine und Riffe richtig eingezeichnet. Die Erfahrung zeigt ja, dass den Karten nicht immer zu trauen ist. Ich weiche von der vorgezeichneten Route noch weiter ab ins tiefere Wasser.
Gegen 22 Uhr haben wir endlich die Höhe der Hafeneinfahrt von Apia erreicht. Kurz vorher erreiche ich auch endlich über Funk „Apia Habour“ und hole uns die Erlaubnis, in den Hafen einfahren zu dürfen. (Wobei mich wundert, dass die Jungs abends um 10 Uhr noch arbeiten. In Nuku’alofa hat man da vergebens gefunkt.)
Nur noch drei Meilen. Dann haben wir es geschafft.
Weil wir damals vor zwei Jahren die Landmarken nicht finden konnten, sind wir genau nach der Leitline der Karte in den Hafen eingefahren. So machen wir es jetzt auch.
Dann bekommen wir noch einmal Instruktionen vom Habour-Master per Funk, wo wir Ankern dürfen. Und als wir geankert haben vergewisser ich mich bei ihm ob er uns sieht und dass wir an dieser Stelle den Frachtschiffverkehr auch wirklich nicht stören. Alles gut.
Morgen ist Sonntag. Da werden wir dann in der Marina festmachen und am Montag Morgen einklarieren. Einklarieren um 9 Uhr bekommen wir Bescheid. Vorher dürfen wir nicht an Land. Und wir werden natürlich auch ganz brav sein und uns daran halten. Das müssen wir den Leuten dann aber auch noch zweimal versichern.
So ganz scheinen die beiden uns nicht zu trauen, die dann am Sonntag am Steg stehen und uns noch einmal nachdrücklich darauf aufmerksam machen.