Eigentlich wollte ich es hier in der BoI (Bay of Islands) bis zum letzten Moment aushalten. Vielleicht noch ein bisschen cruisen und nicht nur am Anker liegen und arbeiten. Obwohl, dieser Ankerplatz in der Te Hue Bay ist wirklich super schön, ruhig, wunderbar geschützt und der Internet- Empfang ist auch nicht so schlecht.
Am 1. April möchte ich zurück in Whangarei sein. Dann heißt es einen Monat lang auf Hochtouren das Boot noch einmal warten, pflegen und verbessern. Ich weiß, dass alles was ich jetzt mache, unterwegs weniger zu erledigen sein wird. Dann werde ich die Inseln entspannt genießen können und brauche mich nur um aktuelles kümmern. Und natürlich wird immer irgend etwas sein. Das geht allen Langzeitseglern so. Am Boot ist immer etwas zu tun. Doch wenn ich sonst die Amiga gut auf Vordermann gebracht habe, fühlt es sich einfach viel besser an, wenn ich zum Beispiel in Vanuatu den aktiven Vulkan auf der Insel Tanna besuche. Davon habe ich schon so viel gehört, dass ich auf dieses Abenteuer ganz gespannt bin.
Am Montag in aller Frühe verabschieden sich meine Nachbarn hier am Ankerplatz, die Meerbaers und die Pacifico. Hermann will nach Auckland und Meerbaer zum Haulout nach Whangarei. Sie wollen den angekündigten Nordost-Wind für die Fahrt Richtung Süden nutzen. Der Wind soll im Laufe der Woche dann auf Süd drehen, was heißt, auch ich muss jetzt los, will ich pünktlich in Whangarei ankommen. Und das muss ich, denn ich habe dort bereits Termine vereinbart.
Doch einen Tag gönne ich mir hier noch. Und plötzlich wird mir klar, dass es vielleicht ein Abschied für immer wird. Ich werde dieses Jahr nach Indonesien weiter segeln. Vier Jahre war ich jetzt während der Cyclon-Season in Neuseeland. Vier Jahre voll von aufregenden und tollen Erlebnissen. Ich bin vielen Menschen begegnet, die mir in dieser Zeit zu Freunden geworden sind. Vier Jahre, in denen ich einen Teil der Zeit in der BoI verbracht habe.
Plötzlich habe ich das Gefühl, es war noch nicht genug. Ich möchte überall noch einmal hin. Nach Roberton Island, Waitangi Day erleben, nach Russel, diesem Städtchen mit seinem historischen Charme, noch einmal zum Stonehouse mit dem tollen Geschäft, am liebsten die Flussfahrt machen bis dorthin. Noch einmal Barbeque am Strand und auch noch einmal nördlich von der BoI, nach Whangaroa Habour und dort im Fjord vor Anker gehen. Möchte gemütliche Regentage erleben und im Sonnenschein auf der Amiga unter der grünen Küste dahingleiten.
Doch es wird Zeit, meinen neuen Plänen zu folgen. Also fange ich an, die „Baustelle Amiga“ aufzuräumen und das Boot seefertig zu machen. Nach ein paar Stunden sieht es schon wieder mehr nach Segelboot aus. Und wieder macht sich das Abschiedsgefühl fast schmerzlich in mir breit.Warum bleibe ich nicht, wenn es mir hier so sehr gefällt? Warum ziehe ich weiter? Zu einem ist natürlich klar, dass ich aufgrund der Visa- Bestimmungen nie länger als 6 Monate im Jahr hier sein darf. Die Chancen, eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, sind einfach sehr gering für mich – ohne dass ich dies jemals tiefer erforscht oder ernstlich in Betracht gezogen hätte.
Und so sehr mir Neuseeland auch ans Herz gewachsen ist, auch hier ändert sich vieles. In diesem Jahr habe ich mich auch zum ersten Mal wirklich über einiges geärgert. Das fing damit an, dass die Amiga in den 10 Wochen in Kissing Point so zugewachsen war, dass sie kaum noch gewegt werden konnte und quasi manövrierunfähig geworden war. Im Town Basin hängen Zettel, wo auf die schlechte Flusswasser-Qualität aufmerksam gemacht wird, die bei Messungen durch die Stadt festgestellt wurde. Man möchte doch bitte die Marina Toilette benutzen und nicht die Bord-Toilette. So etwas ist natürlich richtig und sollte auf jeden Fall befolgt werden. Doch das wird in keinem Fall das Problem lösen. Mittlerweile ist bekannt, dass durch die übersteigerte Milchwirtschaft hier in Neuseeland, die Wiesen mit Gülle durchtränkt sind, die Flüsse eher Cloaken und natürlich dadurch auch der Pazifik in Küstennähe wohl schlichtweg überdüngt. Dagegen kann kein Antifouling wirken. Muscheln, Austern und Seepocken setzen sich schneller am Rumpf fest, als man schauen kann. Nun hatten wir mit viel Fleiß und Kraft den Rumpf in der Urqhuardtsbay von allem befreit und die Amiga war wieder sauber. Zum einen war das natürlich absolut erforderlich, um überhaupt wieder richtig fahren zu können, zum anderen, weil wir eben in die BoI wollten. Ich hatte schon die Erfahrung gemacht, dass, als ich in einer Bucht vor Anker lag, mein Boot abgetaucht und überprüft worden war. Hauptsächlich ging es dabei um einen Fadenwurm, dessen Verbreitung man vermeiden möchte und die BoI sollte davon verschont bleiben. Für mich ein Kampf gegen Windmühlen.
Als ich jetzt im März für ein paar Stunden in Opua in die Marina möchte, um meine neuen Segel zu bekommen, werde ich nicht nur nach Art und Größe des Bootes befragt, sondern auch nach dem Alter des Antifoulings und wann das Boot zuletzt aus dem Wasser zur Reinigung war. Und selber den Rumpf abtauchen und reinigen zählt nicht, dass hätten professionelle Taucher machen müssen. Geht‘s noch???????!!!!!!!!!!
Nun, diese Geschichte macht einem bewusst, das Neuseeland nicht nur ein selbst-gemachtes Umweltproblem hat, sondern dass das schwächste Glied, nämlich die Segler und Sportbootfahrer, als Alibi dafür herhalten müssen.
Dennoch, der Abschied fällt mir schwer. Und das verlassen der BoI wird nur der erste Schritt sein. Warum bleibt man nicht, wenn es einem gefällt und man sich glücklich fühlt. Die Menschen und den Ort mag. Warum bleibe ich nicht?
Mir wird bewusst, dass mich die Neugierde weiter zieht. Der Wunsch noch mehr von dieser Welt zu entdecken. Neues zu sehen und zu erleben. Andere Menschen und Kulturen kennenzulernen. Und auch wenn ich mich hier in Neuseeland etwas wie Zuhause fühle. Es ist ja nicht mein Zuhause, dass ich verlasse, denn das bleibt ja bei mir. Beweglich und sicher und vertraut. Die Amiga wird mich weiter tragen und bei mir sein. So werde ich mich nie wirklich irgendwo fremd fühlen. Mein Haus ist immer dabei. Schon seltsam irgendwie, nicht wahr?
Ich fahre abends nach Urupukapuka. Ein letztes Mal in der Otaio Bay übernachten. Nebenan in der Paradies Bay haben wir vor 4 Jahren das erste mal geankert. Damals war meiner Tochter mit an Bord und wir hatten eine bewegte Nachtfahrt von Great Barrier Island hinter uns. Das war noch auf der Pacifico. Hermann wird diese Tour wohl auch nicht vergessen. Zwei seekranke Frauen, zwei Eimer, und keinen Schlaf. Ziemlich erledigt hatten wir dann morgens um 4.30h einen Zwischenstopp kurz hinterm Cape Brett gemacht. Doch wir waren rechtzeitig vor dem dann kommenden richtig schlechtem Wetter im Schutz der BoI und letztendlich in Russel an einer Mooring. Das war mein erster Besuch der BoI und ich hatte damals hier noch eine sehr schöne gemeinsame Zeit mit Inga, bevor wir uns dann langsam Richtung Whangarei aufmachen mussten, damit sie rechtzeitig ihren Rückflug nach Deutschland antreten konnte.
An meinem Abschiedsmorgen bin ich schon um 5.30 Uhr wach. Vor 7 Uhr wird es nicht dämmern. Ich koche Tee und mache mich nebenbei an den letzten Abwasch. Das Kajak muss auch noch an Deck. Für die Zukunft muss ich mir noch überlegen, wie ich es am Besten sichere und befestige. Heute liegt es erst einmal sicher achtern neben der Deckskiste. Dort stört es auch nicht weiter. Noch einmal schauen, dass möglichst wenig oder sogar nichts durch die Gegend fliegen und sich unterwegs unfreiwillig einen neuen Platz suchen kann. Dann ist es draußen hell genug und ich gehe Anker auf. Es verspricht ein schöner Tag zu werden. Noch ist es relativ windstill. Gut für mich, denn bis Cape Brett und The Hole in the Rock sind es mehr als 5 Meilen, die ich den Wind genau von vorne haben werde und die ich unter Motor laufe.
Das Abschiedsgefühl lässt mich nicht los und lässt mich darüber sinnieren, wie gut das Meer doch zu uns ist. Es lässt einfach zu, dass wir uns auf dieser riesigen unermesslichen Weite mit einem Boot, gleich einer Nussschale, fortbewegen. Es trägt uns, ohne das wir um Erlaubnis gefragt haben. Ein ganz unglaubliches Element – das Meer……….
Gestern Abend haben sich zwei wesentliche Probleme heraus kristallisiert: Diesel in größeren Mengen in der Bilge und die Lichtmaschine produziert keinen Strom, um die Batterien zu laden. Gründe meine Rückfahrt nach Whangarei, oder zumindest zur Urqhuardtsbay, zu beschleunigen. Im Zweifel kann ich dort eher Hilfe und Unterstützung finden, auch wenn ich im Moment nicht wirklich beunruhigt bin. Diese Fehler werden sich schon beheben lassen.Gegen 18 Uhr abends habe ich die mehr als 50 Meilen geschafft und gehe auf einem meiner Lieblingsplätze vor Anker. Das schöne Wetter hatte sich den ganzen Tag gehalten. Es war unterwegs so warm wie im Hochsommer. Die Sonne hatte kraftvoll ihre Wärme verbreitet und zum Sonnenbad eingeladen. Ein bisschen schon wie die Verheißung der kommenden Segelsaison und die Vorahnung auf das kommende Abenteuer – den Besuch der tropischen Inseln Vanuatu, Solomon, PNG und Indonesien.
….wenn ich Deine Texte lese ist da immer der große Wunsch nach MEHR!
Zu Deiner Abschiedsstimmung kam mir dann gleich der gute Hesse in den Sinn:
…Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Wow Boris, vielen Dank!