Mit dem ersten Tageslicht machen wir uns auf, um unsere nächste Etappe, Puerto Aguirre, zu erreichen. Es verspricht ein wunderschöner und zunächst fast windstiller Tag zu werden. Wir sind froh, dass Yan, der Motor, wieder einwandfrei läuft und es hier keine weiteren Probleme gibt. Die aufgehende Sonne beschert uns kontrastreiche, farbenprächtige Bilder
dieser Fjordlandschaft. Im ersten Sonnenlicht leuchtende Berge, fast schwarze Inseln, wo das Licht noch nicht hinreicht, das Wasser ein goldener Spiegel, darüber der Vollmond, der langsam blasser wird. Wir fahren an den ersten Lachsfarmen vorbei, die für uns auch die ersten Anzeichen der Zivilisation sind. Ein paar Meilen vor uns können wir immer wieder weiß aufspritzende Gischt sehen. Als wir näherkommen, erkennen wir, dass das meterhoch aufspritzende Wasser von springenden Lachsen verursacht wird. Ob die wohl aus einer der Fischfarmen ausgekniffen sind und hier ihre gewonnene Freiheit genießen???
Puerto Aguirre liegt, wie Puerto Eden, auf einer Insel, umgeben von einer ganzen Anzahl größerer und kleinerer Inseln. Auf der benachbarten Insel ist der Friedhof des Dorfes angesiedelt. Die Einwohnerzahl ist in unserem Führer mit 1.200 angeben. Also schon 9-mal so groß wie Puerto Eden. Auch hier gibt es keinen wirklichen Hafen. An der Pier, an dessen Anfang das Gebäude der Armada (Prefectura) liegt, liegen kaum Boote. Nach Rücksprache mit der Armada dürfen wir für die Nacht dort neben einem kleinen Fischerboot festmachen. Es geht gerade mal so, dass wir während der Ebbe nicht aufliegen und nur das Ruder etwas aufkommt. Da jedoch kein stärkerer Wind oder überhaupt schlechtes Wetter zu erwarten ist, machen wir uns hier keine Sorgen.
Erwartungsvoll gehen wir an Land. Ob wir heute Abend in einem Restaurant essen??? Wir erkundigen uns nach den Möglichkeiten bei Leuten, die neugierig am Pier nach PACIFICO blicken. Bald wissen wir: kein Internet, kein Geldautomat, kein Restaurant! Und nur wenige Einkaufsmöglichkeiten und die auch nur eingeschränkt, weil heute Ostersonntag ist. Also werden wir auch heute auf unsere Vorräte zurückgreifen müssen und nicht Essen gehen.
Auf unserer Erkundungstour machen wir ein kleines geöffnetes Geschäft ausfindig, indem wir Möhren und einen Blumenkohl (den einzig verfügbaren) kaufen, in einem weiteren dann ein paar Orangen und ein tiefgefrorenes Huhn für Frikassee. Also doch etwas Abwechslung in unserer Speisekarte.
Die Häuser des Dorfes sind überwiegend aus Holz, gedeckt von Blechdächern, farbenfroh gestrichen. Manche Häuser mit neuen Fenster, andere, wo gesprungene Scheiben notdürftig verklebt sind. Fensterglas ist offenbar Mangelware. Es gibt Straßen und Autos. Nach der Erfahrung mit Puerto Eden für uns gar nicht mehr so selbstverständlich. Und es gibt Gärten und Blumen. Vielleicht nicht sonderlich gepflegt und kein englischer Rasen, aber wir sehen Dahlien, Ringelblumen, Iris und auch Rosen. Ein Anblick, der seit Mar Del Plata ausgesprochen selten ist. Es gibt eine Kirche, wie in jedem Dorf. In Puerto Eden hatte die Kirche zwar den Eindruck gemacht, als wäre sie lange nicht besucht worden, aber auch dort gab es vor dem Gebäude mit Blumen geschmückte Fischeraltäre.
Es gibt viele Fischfarmen rund um Puerto Aguirre. Dies geht auch noch bis Port Montt so weiter und begrenzt dadurch unsere Ankermöglichkeiten, wo wir bisher keine Einschränkungen erfahren haben. Ein junger Fischer erzählt uns vor unser Weiterreise, das hier im Jahr so zwischen 300.000 und 500.000 to Lachse gefangen werden. Die Haupteinnahmequelle der hier lebenden Menschen.
Auf dem Kanal Ferronave geht es am nächsten Tag weiter nach Norden. Da der Wind mal wieder nach Nord drehen soll, beschließen wir die Nacht durch zu fahren um vorher möglichst viel Strecke zu machen. Unsere Zarpe, die Genehmigung zum befahren der Kanäle, läuft am 10.04.2015 aus. An dem Tag sollen wir spätestens um 20.00 Uhr in Port Montt sein und uns bei der Armada gemeldet haben. Bis zum Morgen wollen wir die Insel Chiloe erreichen und dann sehen, ob der Wind noch eine Weiterfahrt zulässt. In den frühen Morgenstunden, während es noch lange dunkel ist, hören wir immer wieder mal, wie etwas gegen die Bordwand stößt, können jedoch, wenn wir nachschauen, nichts erkennen. Und es ist zu wenig Seegang, als dass es Wellen sein könnten. Plötzlich bremst etwas nachhaltig die Fahrt von PACIFICO und blockiert sogar das Ruder. Im Licht der Taschenlampen sehen wir uns die Bescherung an: Kelb (dickfleischige Meerespflanze, die mehrere Meter lange und bis zu armdicke „Zweige“ hat). Wir sind in ein großes treibendes Kelbfeld gefahren. Etwas, das wir in den letzten Wochen immer erfolgreich versucht haben, zu vermeiden. Nun hängt der Kelb unter PACIFICO und hat sich vor allem am Ruder verfangen. Wir stellen den Motor ab und treiben, während wir mit Machete und Enterhaken versuchen PACIFICO wieder frei zu bekommen. Wir brauchen über eine halbe Stunde, bis wir das Knäuel soweit zerschnitten haben, dass das Ruder wieder gängig ist und den Motor wieder starten können. Die Weiterfahrt in der Dunkelheit ist geprägt von der Anspannung, in kein weiteres Kelbfeld zu fahren, die in Mengen und unterschiedlichen Größen hier im Wasser treiben. So angespannt, dass wir im ersten Moment erschrecken, als es im Wasser an der Backbordseite platscht! Delfine. Auch in der Dunkelheit begleiten sie uns und tauchen immer wieder neben uns und am Bug auf.
Erst als der stärker gewordene Nordwind mittags die Weiterfahrt nicht mehr zulässt, gehen wir in Puerto Quellien auf der Insel Chiloe vor Anker. Dort melden wir uns lediglich über Funk bei der örtlichen Armada und verzichten auf den Landgang, da hier nicht viel Sehenswertes zu erwarten ist. Stattdessen holen wir den fehlenden Schlaf der vergangenen Nacht nach und warten darauf, dass der Wind nachlässt oder vielleicht sogar dreht. Da eine Unterwand (eines der Stahlseile, die den Mast halten) im Golfo de Penas gebrochen ist, können wir nicht mehr unter allen Bedingungen segeln. Wir wollen keinen Mastbruch riskieren und laufen deshalb meist unter Motor. In Port Montt wird die Want dann für unsere Weiterreise instandgesetzt.
Auch kurze Strecken lohnen sich. Mittlerweile gehen wir nicht mehr davon aus, pünktlich in Port Montt anzukommen, und wollen die restliche Strecke dann eben in kleineren Etappen machen. Also geht es am nächsten Nachmittag, als der Wind gegen 14.00 h nachlässt, auf zur Insel Alao. Es sind ungefähr 15 Meilen bis dorthin und damit gut 3 Stunden Fahrtzeit. Die Inselwelt, durch die wir hier segeln, lässt Ostseegefühle aufkommen. Die Steilküste nördlich von Kiel? Die dänische Südsee? Leicht hügelige grüne Inseln, mit bunten Häusern, Weideflächen mit Schafen und Rindern. Dazu moderatere Temperaturen bis um die 20 Grad. Wir fühlen uns in eine ganz andere Welt versetzt, als wir es in den letzten Wochen erlebt haben.
Wir ankern abends in einer kleinen Bucht neben einer Fischfarm. Am Ufer stehen Hütten, hinter den Bäumen können wir ein Haus erkennen, weiter oben, auf dem Hügel, ein weiteres. Der Abend ist sonnig und warm. In der Bucht ist es windstill. Als wir im Cockpit beim Abendessen sitzen, sehen wir, wie jemand zum Strand herunterkommt und sein Ruderboot ins Wasser schiebt. Wir bekommen Besuch. Antonio heißt er und wohnt hier wohl schon sehr lange. Wo wir herkommen, wohin wir wollen …? Wir fragen ihn nach frischen Eiern, da wir Hühner gesehen haben, und frischem Gemüse. Gemüse hätte er nicht für uns, aber ein Dutzend Eier, das könnte sein. Er rudert zurück an Land. Kaum eine halbe Stunde später ist er wieder neben uns. Er bringt uns 4 Kartoffeln und die versprochenen Eier. Wir haben inzwischen genügend Kleingeld zusammengesammelt, um es ihm möglichst passend bezahlen zu können. Wir gehen ja davon aus, das er hier, in dieser Abgeschiedenheit, nicht auch noch Wechselgeld bei sich hat. Und was wir nun erleben, geht uns noch lange ziemlich unter die Haut. Wir fragen ihn, was es denn kostet – wieviel wir bezahlen sollen. Geld?! „Habt ihr vielleicht Lebensmittel?“ fragt uns Antonio. „Vielleicht sogar Konserven?“ Wir sind erstaunt. Damit haben wir nun gar nicht gerechnet. Bei den Fischern hatten wir Wein als Gegengeschenk gegeben. Für uns noch nachvollziehbar. Aber Lebensmittel? Wir geben ihm ein Kilo Mehl, ein Paket Nudeln, ein Kilo Reis und ein halbes Pfund Kaffee. Konserven haben wir leider nicht. Antonio strahlt uns an. Die Geste zum Himmel, die er macht und dabei Herrmann ansieht, mag jeder für sich selbst deuten. Und zum Schluss fragt er noch, ob wir denn einmal irgendwann wieder hierherkommen. Wie bei alten Freunden. Über dieses Erlebnis und Antonio werden wir noch lange und immer wieder mal reden.
Unsere nächste Etappe ist die Isla Mechuque. Gegen 13.00 h kommen wir am nächsten Tag hier an. In dem kleinen Ort dort, soll man bei den Fischern manchmal geräucherten Lachs bekommen können. Wir wollen auf jeden Fall danach fragen. Also gehen wir in der kleinen Bucht, in der noch andere Fischerboote liegen, vor Anker. Aber als wir den Halt des Ankers überprüfen, merken wir das PACIFICO durchaus nicht auf der Stelle verbleibt, sondern in der Tat langsam rückwärts in Richtung Strand und andere Boote fährt. Also ein zweiter Versuch. Doch auch diesmal hält der Anker nicht. Weitere Versuche sparen wir uns und fahren in Richtung der nächsten Ankermöglichkeit am südlichen Teil der Insel. Die ist aber keineswegs, wie wir dann feststellen, vor dem herrschenden Nordwind geschützt. Wenn wir jetzt hier nicht Ankern können, liegen die nächsten brauchbaren Alternativen so weit entfernt, dass wir womöglich in die Dunkelheit kommen. Wir schauen noch einmal in unsere Bücher, ob wir nicht doch etwas näher Gelegenes finden. Tatsächlich gibt es dann noch am östlichen Ende der Insel eine weitere Möglichkeit, die nur wenige Meilen entfernt ist. Wir erreichen diese Bucht wenig später und hier hält der Anker dann auch tatsächlich. Im Seegras!!! wie wir beim Anker lichten am nächsten Morgen feststellen. Egal. Es war so wenig Wind, das keine Gefahr bestanden hätte.
Im Licht des erwachenden Tages fahren wir durch die links und rechts von Häusern und Hütten gesäumte Insellandschaft, bis wir dann das offene Wasser erreichen und Kurs auf das Festland nehmen.
Mit Erreichen der Insel Chiloe hatten wir Patagonien hinter uns gelassen. Jetzt sind es noch zwei Segeltage bis Port Montt. Es fühlt sich für uns komisch an, nach der Abgeschiedenheit Feuerlands und Patagoniens wieder in bewohnten Gebieten zu sein. Und wir sind uns nicht sicher, ob wir uns wirklich freuen, dass diese Zeit vorbei ist. Wir sprechen davon, diese Reise noch einmal zu machen. Darüber was wir anders machen würden, aufgrund unserer jetzigen Erfahrungen. Dazu gehört ganz klar das Thema Heizung. Und es vielleicht den anderen Weg herum zu machen, so dass man mit dem Wind unterwegs ist und nicht ständig gegen an motoren muss. Und das man sich mindestens vier bis sechs Monate Zeit nimmt.
An diesem Freitag ist Wind und Wetter für uns so gut, dass wir bereits mittags, unsere geplante vorletzte Etappe erreichen. Zu früh, wie wir finden. Wir könnten bei diesen Bedingungen bis heute Abend in Port Montt sein. Also fahren wir kurzer Hand weiter und erreichen Port Montt „Zarpe “ – pünktlich am Freitag, den 10. April um 18.00 h. Seid wir in Puerto Williams losgesegelt, haben wir uns nur zwei nicht witterungsbedingte Tage Aufenthalt genommen: im Seno Pia die Besichtigung der kalbenden Gletscher und in der Caleta Mostyn einen Tag für die Reparatur der Heizung. Ansonsten haben wir jede Möglichkeit genutzt voranzukommen. Wir sind nur zweimal nachts gesegelt. Das würden wir auch rückblickend nicht anders machen. Zum einen, weil man nachts nichts von dieser wunderbaren Natur sieht, und zum anderen ist aus unserer Sicht die Strecke nachts zu gefährlich. Gründe hierfür sind nicht immer vorhandene Seezeichen, die GPS-Kartenabweichungen, die es immer wieder gegeben hat, treibende große Eisschollen, mit den wir nicht unbedingt kollidieren wollten und nicht zuletzt die treibenden Kelbfelder, die einen doch erheblich behindern können, wie wir jüngst erfahren haben.
Wir haben gemäß unseren Büchern in Port Montt die Auswahl zwischen mehreren Marinas mit unterschiedlichem Angebot zu unterschiedlichen Preisen. Wir entscheiden uns für die teuerste Variante, die Marina del Sur. Hier soll der Service am besten sein. Da wir in Buenos Aires die Erfahrung gemacht haben, dass auch Taxi-Kosten für Erledigungen sich schnell summieren können, denken wir, dass es sich letztendlich rechnen wird. Wir rufen die Marina per Funk an. Eine viertel Stunde später weist uns ein Mitarbeiter einen Liegeplatz zu. Drei Leute helfen uns beim Anlegen und wenig später ist unsere kaputte Genua bereits auf dem Weg zur Reparatur. Ein Dreher wird am nächsten Montag kommen, um die gebrochene Want in Ordnung zu bringen. Ebenso wird am Montag ein Techniker kommen, um unseren Kühlschrank zu reparieren. Und kaum eine Stunde später nimmt uns jemand mit und setzt uns vor einem Restaurant ab. Hier feiern wir unsere Ankunft in Port Montt. Es fühlt sich immer noch etwas unwirklich an, jetzt wieder unter Menschen zu sein.
Wir verbringen unsere Tage mit Einkäufen und Vorbereitungen für die Reise in die Südsee. Die Wäsche können wir direkt in der Marina waschen und trocknen. Entsprechende Maschinen stehen dort bereit. Die Gasflasche wird gefüllt und wieder zu uns Bord gebracht. Es wird jede Hilfestellung gegeben, die wir irgendwie benötigen. Wir sind schon gespannt, was uns der ganze Service Kosten wird, wenn wir am Freitag nach der Rechnung fragen.
Aber bis dahin ist noch einiges zu tun, denn der nächste Abschnitt wird fünf bis sechs Wochen auf See bedeuten, wenn wir über die Islas Fernandes (Robinson-Crusoe-Insel) nach den Marquesas-Inseln segeln.