Von Apataki aus wollen wir direkt nach Tahiti segeln. Es sind ungefähr 200 Meilen und damit nicht einmal zwei Tage bis dorthin. Doch irgendwie lässt uns das Thema ‚Perlen‘ noch nicht los. Auf Apataki haben wir keine Perlen nach unseren Vorstellungen bekommen. In Papeete kann man sicherlich schöne Perlen kaufen, aber das wird dann nicht das gleiche sein,
wie eben direkt auf einer Farm gekaufte Perlen. Nun, wir haben ja noch von dem Kaufmann auf Raroia die Telefonnummer von Jenny, der Schwester seiner Frau. Jenny hat auf Arutua eine Perlenfarm. Wenn wir ihm vorher eine Mail schreiben, würde er uns sogar bei Jenny anmelden. In Arutua kann man laut unserem Buch nur in der Passage ankern. Die Einfahrt soll sehr schwierig sein. Auf Toau hat man uns gesagt, ankern sei dort gar nicht möglich und die Passage nicht passierbar. Wenn wir Jenny besuchen wollten, sollten wir doch ein Schnellboot von Apataki nehmen.
Was nun?
In Patagonien war es auch nicht immer einfach, warum also sollten wir es hier nicht schaffen? Sollte es in Arutua wirklich nicht möglich sein zu ankern, werden wir einfach weiter nach Tahiti segeln, wie ursprünglich geplant.
Während wir unsere Vorbereitungen zur Abreise treffen, versammelt sich morgens die halbe Dorfbevölkerung auf dem Pier. Natürlich nicht um uns zu verabschieden. Aber wir wundern uns schon und fragen natürlich. Es geht mit einem Motorboot zu einem Treffen auf eine andere Insel. Zwei weitere Inseln sind ebenfalls an diesem Treffen beteiligt, dass wohl mehrere Tage dauert, soviel Gepäck und Schlafsäcke, wie alle dabeihaben. Das erklärt auch, warum in dieser Woche der zweite wöchentliche Öffnungstag der Bäckerei ausfällt. Wenn kaum noch jemand im Dorf ist, die Bäckerin auch an dem Ausflug teilnimmt, ist auch keiner da, der Brot kauft. Die Dorfbewohner, die nicht mitgefahren sind, sehen wir später von PACIFICO aus am Strand beim Surfen. Alles mitten in der Woche.
An diesem Tag haben wir wunderbares Wetter. Blauer Himmel und kaum Wind aus nördlichen Richtungen. Laut unserem Buch die besten Bedingungen überhaupt in Arutua vor Anker zu gehen. Noch haben wir auch keine Vorstellung, wie es in der Passage aussehen wird und wie die Strömungsverhältnisse während der Gezeiten sind. Wir planen schon zusätzlich den Heckanker einzusetzen. Als die Passage nach fast drei Stunden in Sicht kommt, sieht sie sehr breit aus mit vorgelagerten Riffen. Ein Versorgungsschiff ist gerade dabei Anker zu lichten und die Passage zu verlassen. Wir rufen das Schiff über Funk an und fragen nach den Strömungsverhältnissen. „Wenig Ausströmung“ ist die Antwort. Das lässt uns hoffen. Es sind auch wenig Verwirbelungen und Wellen zu sehen, so dass wir die Einfahrt in die Passage wagen. So langsam wie möglich tasten wir uns zwischen den vielen Fischreusen, die in der Passage aufgestellt sind, zu dem im Buch beschriebenen Ankerplatz vor. Das Wasser ist tiefer als im Buch und auch in der Karte beschrieben. Wegen der Nähe zu den Reusen, der Strömung und Wassertiefe, können wir uns jedoch nicht entscheiden, hier wirklich vor Anker zu gehen. Ein Motorboot kommt heran und fragt wieviel Tiefgang wir denn haben und warum wir dann nicht weiterfahren. Wir könnten doch in der Lagune ankern. Und schon fährt er voraus, um uns den Weg durch die Reusen und die restliche Passage in die Lagune zu zeigen. Der Tiefenmesser zeigt nicht einmal weniger als 2,50 m an. Eigentlich soll die Wassertiefe hier nur 1,50 m und noch weniger sein. Und Jenny kennt er natürlich auch. Bis zu dem Motu (Inselchen) auf dem die Perlen-Farm liegt, sind es etwa zwei Meilen am Dorf vorbei Richtung Norden.
Wenig später kommen wir dort an und gehen dort vor dem Strand vor Anker. Es kommt ein Mann von der Perlen-Farm zu uns heraus gerudert. Ja, wir werden schon erwartet. Nach dem gerade erlebten Abenteuer mit der Passage fragen wir, ob hier denn häufig Boote herkommen. „Nicht so oft, nein, eigentlich seid ihr die ersten.“
Wir besichtigen die Farm. Der Inhaber, Christian, begrüßt uns, führt uns herum, erklärt uns die Abläufe und beantwortet unsere Fragen. Seine Frau Jenny ist heute aus Papeete zurückgekommen. Überall stehen Kisten herum, die sie heute per Luftfracht mitgebracht hat und die unter anderem auch frische Lebensmittel beinhalten.
Auf der Farm sind drei Männer beschäftigt. Der ‚Doktor‘ ist ein junger Chinese, der seit eineinhalb Jahren hier beschäftigt ist. Er hat hier gelernt, wie man eine Rohperle in die Auster einsetzt und die fertige Perle entnimmt. Er bewertet die geerntete Perle mit ‚gut‘ oder ’nicht gut‘. Dann sortiert die ungenügenden Perlen und nicht tragenden Austern aus. Christian ist recht glücklich ihn als Mitarbeiter zu haben. Mit den Einheimischen, die er vorher beschäftigt hatte, ging es nicht so gut, was sich dann auch auf die Erträge ausgewirkt hat. Die beiden anderen Mitarbeiter scheinen sich hier auch sehr wohl zu fühlen und wirken eher wie Familienmitglieder. Chef und Chefin arbeiten mit. Auch während sie sich mit uns unterhalten, unterbrechen sie ihre Arbeit nicht wirklich.
Wir fragen auch, wie es mit den Fischen in der Lagune ist, besonders mit der ‚ciguatera‘. Hier sei nichts, aber zwischen Apataki und Arutua schon. Und auch an einigen anderen Orten. Woran erkennt man denn, ob ein Fisch krank ist? Bei dieser Frage denken wir an die Beschreibungen der Fischer auf Ua-Pou, die schon ziemlich merkwürdig waren. Also hier schaut man, ob die Fliegen an den Fisch gehen. Wenn nicht, ist der Fisch krank. Oder man gibt der Katze ein Stück von dem Fisch. Wenn sie nach zwei Stunden ein bisschen merkwürdig wird, dann war der Fisch auch nicht in Ordnung. Soso, alles sehr wissenschaftlich und wohl nicht ganz ernst gemeint.
Ja, Haie gibt es hier auch. Große? Ja, auch große. Und? Greifen sie einen beim Baden an? Nein, so ein Hai ist doch nicht verrückt, sagt Christian und lacht.
Dann, um 16.00h ist Feierabend. Die Arbeitsplätze werden gereinigt. Die bearbeiteten und in grobmaschige Plastiknetze untergebrachten Austernstränge werden aus dem Wasser am Strand ins Boot gebracht. Die Plastiknetze sind erforderlich, damit die Austern nicht von den Fischen gefressen werden. Wir dürfen mit hinaus in die Lagune fahren. Dort werden die Austern samt schützender Hülle an unter Wasser gespannte Seile gehängt. Die Seile werden durch Bojen, die etwa zwei Meter unter Wasser schwimmen, gehalten. Das heute in hellen blau und türkis leuchtende Lagunenwasser ist besonders klar. Dadurch sehen wir staunend auf diesen unter uns liegenden verwunschenen Unterwassergarten, der sich hier auftut. Und etwas ganz Anderes erfahren wir hier auch. Es ist die einzige Reihe, die auch mit Bojen über Wasser markiert ist. Weitere sind unmarkiert und nur Christian weiß, wo sie sind. „Damit sie nicht gestohlen werden!“ In einer Welt, in der so wenig Menschen leben und diese sicher auch aufeinander angewiesen sind, kann man sich gegenseitig nicht vertrauen. Das haben wir so gar nicht erwartet.
Zurück auf der Farm werden wir weiter herumgeführt. Für den Eigenbedarf werden hier Schweine und Hühner gezüchtet. Der Chinese isst keine Tiefkühlkost! In einer der Hütten steht ein großes leeres Bett. „Hier ist noch frei und ihr könnt hier schlafen, wenn ihr wollt. “ Ein kleiner, liebevoll angelegter Garten trotzt der Trockenheit. Wasser ist auch hier nur begrenzt verfügbar. Genauso wie der selbst produzierte Strom, der Arbeitsgeräte, Kühltruhen, Waschmaschine, Fernseher usw. betreibt. Insgesamt haben wir den Eindruck, dass Jenny und Christian gut leben. Besser, als so mancher andere, den wir hier in Französisch-Polynesien kennen gelernt haben. Sie haben ein weiteres Taifun- sicheres-Haus im Dorf und eine Wohnung in Papeete, wo der Sohn zurzeit lebt. Nach Papeete fliegen sie regelmäßig. Und sie waren in Neuseeland, Frankreich und Amerika. Das Perlengeschäft scheint für die beiden einträglich zu sein, was sicherlich nicht zuletzt daran liegt, dass sie beide mitarbeiten. Die Qualität der Perlen, die hier produziert werden, erscheint uns höher zu sein, als wir es auf der anderen Perlenfarm gesehen haben. Und auch wesentlich besser, als die Perlen, die uns bisher angeboten wurden. Jenny gibt an, dass aufgrund der langen Zuchtdauer von dreizehn Monaten die Perlmutschicht mehr als 0,8 mm stark ist. Auch gibt es weniger Ausschuss bei den geernteten Perlen, weil beim Einsetzen der Rohperle zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden.
Aus Amerika stammt die Perlenwaschmaschine, in der die Perlenernte der letzten beiden Tage etwa eine Stunde gewaschen wird. Danach dürfen wir uns die etwa 800 bis 900 Perlen ansehen und auswählen, welche wir davon kaufen möchten. Die Perlen sind einfach wunderschön, viele fast perfekt rund und ohne für uns erkennbaren Makel. Sie glänzen schwarz, grau, silbern und sogar weiß. Die wertvollsten leuchten in wunderschönen Grüntönen, in aubergine bis rose, oder sogar mehrfarbig. Hermann plant ein besonderes Schmuckstück und wählt hierfür liebevoll einige Perlen aus, die er immer wieder dreht und genau betrachtet. Die Lichtverhältnisse sind inzwischen nicht mehr so gut, da die Sonne schon untergeht. Deshalb wollen wir am nächsten Tag noch einmal wiederkommen und uns die Perlen vor dem endgültigen Kauf bei Tageslicht ansehen.
Bevor wir uns verabschieden, werden wir für den nächsten Tag zum Mittagessen eingeladen. Jenny will für uns kochen. Da wir keine Uhrzeit genannt bekommen, sind wir am nächsten Tag natürlich zu früh und werden noch spazieren geschickt. „Wollt ihr euch nicht noch das Riff anschauen? Das Essen ist erst in 20 Minuten fertig.“ Wir spazieren zum Riff und sammeln auch noch ein paar Muscheln. Das Essen ist dann sehr lecker und auch eher europäisch. Es gibt knusprige Hähnchenschenkel aus dem Backofen, Medium gebratene Steaks, Kartoffelgratin, Salat und Reis (wahrscheinlich hat Hermann gestern gesagt, dass er Fleischesser ist. Zu trinken gibt es Wein und natürlich Wasser, dass die Familie mit Fruchtsirup süßt, den wir hier schon in jedem Geschäft gesehen haben.
Als wir uns verabschieden, tauschen wir Telefonnummern aus. Der Sohn könnte uns, wenn wir mögen, doch Tahiti zeigen. Sie selbst wären in einer Woche auch wieder in Papeete.
Es war wirklich schön bei Jenny und Christian auf ihrer Perlenfarm. Wir haben uns dort sehr wohl und willkommen gefühlt. Als wir am späten Nachmittag unseren Anker lichten, um noch vor Sonnenuntergang Arutua zu verlassen, freuen wir uns, dass wir, den abschlägigen Beschreibungen zum Trotz, doch hierhergekommen sind.
Es ist das erste Mal, dass wir auf dem Tuamotus vorher nicht auf den Tidenstand geschaut haben. Als wir die Passage erreichen und uns wieder durch die Fischreusen schlängeln, ist der Ebbstrom in vollem Gange. Draußen vor der Lagune sehen wir das strudelnde Wasser und die aus der Strömung entstehenden Wellen. Bisher haben wir diese Situation immer tunlichst vermieden. Wir zögern einen kurzen Moment. Dann heißt es „Luken dicht!!! Wir gehen durch!“ Und schon ist PACIFICO mitten in der Strömung, hält tapfer gegen die Strudel an, taucht mit dem Bug immer wieder in die Wellen. Wenige Minuten später haben wir es geschafft. Wir sind wieder auf dem Pazifik. Das Wasser beruhigt sich und es wird zur normalen Pazifik-Dünung. Das hat Spaß gebracht, auch wenn wir es nicht unbedingt wieder machen würden. Und irgendwie ist es auch ein passender Abschluss für unseren Besuch der Tuamotus.
Die Sonne ist inzwischen fast untergegangen. PACIFICO legt Kurs auf Tahiti, Society-Islands, an.