Einen Tag später, als geplant, verlassen wir bei schönstem Wetter Neuseeland. Unser Kurs 60° Nord-Ost zu einem etwa 140 Seemeilen südöstlich der Kermadec Inseln angenommenen Wendepunkt, ab dem es dann nach Norden Richtung Tonga geht. Wir hoffen, dass diese Route uns aus den ungünstigen Winden Neuseelands heraus und in die günstigeren
Passat Winde hineinbringt, die dann beständiger aus östlichen Richtungen wehen. Tonga im Kurs direkt anzulegen hätte bedeutet etwa 10 Tage, sehr mühsam, hoch am Wind zu segeln. Also etwas gemütlicher und wir haben ja Zeit.
Als es Nacht wird sehen wir die letzten Inseln Neuseelands, die letzten Lichter, dann nur noch der Pacific. Wir müssen uns wieder gewöhnen an den nächtlichen Wach-Schlaf-Rhythmus (Hermann) und unseren Tagesablauf auf See. Die erste Nacht verläuft dann auch sehr unruhig. Ständig meldet das Radar Gewitterzellen. Der Wind nimmt zu und wühlt das Meer auf. Doch der Wind bringt uns natürlich auch gut voran. Umso schneller wir nach Ost kommen, umso schneller kommen wir eben auch aus den unbeständigen Winden um Neuseeland herum heraus.
Die ersten heftigeren Wellen spülen über das Deck und dann rauscht es auch schon in der Kabine. Durch die Lüfter kommt ein Schwall Wasser, als hätte jemand einen Eimer Wasser ausgekippt. Meerwasser tropft noch von der Decke, Treppe und dem Navi-Tisch, hat sich auf Sitzpolster und Kabinenboden verteilt, tropft ab in die Bilge. Wir haben vergessen, die Lüfter abzudecken. Irgendetwas vergisst man immer. Ein paar Handtücher und der Schaden ist schnell behoben. Allerdings ist es kein Vergnügen, bei dem Seegang die Lüftungshörner abzuschrauben und dann mit den Verschlussdeckeln dicht zu machen.
Nach zwei Tagen auf See geht uns schon wieder die Zeitrechnung verloren. Welcher Tag ist heute? Datum? Die mehrmals täglich gesendeten Positionsmeldungen an Familie und Freunde geben Aufschluss. Wir verzichten auf der Reise nach Tonga darauf, die reale Zeit anzupassen. Zuviel Rechnerei. Zweimal überfahren wir diesmal die Datumsgrenze. Einmal östlich von Neuseeland, dann kurz vor Tonga, die die Datumsgrenze für sich ‚verbogen‘ haben. Dazu kommt, dass Tonga eine Stunde vor Neuseeland liegt. Das werden wir jedoch erst nach unserer Ankunft glätten.
Unsere eigentliche Zeitrechnung sind jedoch die Seemeilen. Wie viele haben wir zurückgelegt? Wie viele sind es noch bis zum Wendepunkt und später dann, wie viele Meilen sind es bis Tonga? Wind und Wetter bestimmen unsere Zeit, die Wolken über uns, die Bewegungen des Pacifics um uns herum. Kein Land weit und breit zu sehen. Frei atmen, die Sonnenstrahlen genießen, den Wind an der Nasenspitze spüren. Unbeschreiblich schön und befreiend.
Was fehlt den Menschen, die sich unwohl fühlen, wenn sie kein Land mehr sehen? Der feste unbewegliche Bezugspunkt im Blickfeld? Beständige Unveränderbarkeit? Der Halt? Das sich selbst vertrauen und genug sein? Wir können diese Fragen nicht beantworten, denn wir genießen diesen bewegten Blick um uns herum. Keine Sekunde ist der Ausblick gleich. Ständig verändert er sich: Licht, Sonne, Wolken, sanfte Dünnung, spielerisch kippende Wellenkämme, manchmal tobendes Spiel zwischen Wind und Wellen und darüber schnell dahintreibende Wolken, mal in weiß, manchmal im düsteren grauem Gewand. Hermann liebt die mondhellen und die sternenklaren Nächte im Cockpit, wo er mit einem frischen heißen Becher Tee in der Hand in den Himmel und in die Sterne sehen kann, über das Meer schaut und es in sich aufnimmt. Hilde mag die Morgen, wo sie die Neugierde ins Cockpit treibt: wie sieht das Meer heute aus? welches Schauspiel erwartet mich? Es ist immer anders, immer überraschend, immer fantastisch schön.
So eine Reise ist nie langweilig. Überraschende und bezaubernde Erlebnisse bringen immer wieder Abwechslung. An einem Nachmittag sitzt Hilde allein im Cockpit. Es ist recht gemütlich in der Sonne und Fleece Decke und -Jacke schützen vor dem frischen Wind, der den kalten Hauch von Neuseelands Winter mit sich trägt. Die Möwen gleiten auf Ihrer beständigen Suche nach Nahrung über das Meer und häufig auch ganz dicht über PACIFICO. Ganz unverhofft landet eine kleine Schwalbe mit einem freundlichem zwitschern im Cockpit auf der Bank hinter dem Ruder, schaut sich um und setzt sich bei Hilde auf die Knie. Ganz zutraulich. Schaut sich um und befindet wohl den Platz auf der Jackenkapuze, also Hildes Kopf für angenehm zum Ausruhen. Er bleibt bis die Berührung der forschenden Hand ihn aufstört. Dreht eine Runde um PACIFICO und wählt diesmal die Winsch unter der Sprayhood als Ruheplatz. Es dauert eine ganze Weile, sein Gefieder hat er inzwischen ausführlich geputzt und wohl auch ein wenig geschlafen. Wieder ein freundliches Gezwitscher und dann ist er verschwunden. Was macht so ein kleiner Vogel, kaum eine Handvoll groß, wohl hier mitten In der Wasserwüste, hunderte von Meilen weg vom Land?
Unser aufregendstes Erlebnis ist mal wieder die Angelei. Aus Deutschland haben wir eine Hightech Angelleine mitgebracht. Dünn, aber stark. Jetzt passen wieder 270 Meter Angelsehne auf die Rolle und nicht nur 80 Meter, wie bei der letzten stärkeren Leine. Und in Whangarei gab es kurz entschlossen (oder nach längerem Erwägen?) eine neue stärkere Angelrute. Die Angel wird jeden Morgen ausgeworfen und erst in der Dämmerung wieder eingezogen. Jedes tickern der Rolle, wenn die Sehne etwas mehr ausläuft, lässt uns aufhorchen und in Bereitschaft geraten. Enttäuschung, wenn sich dann nur Seetang oder Müll am Haken verfangen hat. Oder ein Fisch dran ist, sich aber befreien kann, bevor wir ihn auch nur gesehen haben. Nach wenigen Tagen sind wir schon leicht frustriert. Immer noch kein Fisch. Nur, man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben. Und schon scheint es diesmal zu klappen. Hermann kann die Angel mit dem sich wehrenden Fisch einziehen, ohne dass wir alle Fahrt aus PACIFICO nehmen müssen. Als wir den Fisch endlich an Bord haben, ist es ein etwa vier Kilo schwerer kleiner Thunfisch. Hilde möchte keinen Thuna. Zu trocken. Und für einen Thuna ist er eben auch noch sehr klein, so dass sich einkochen, zum Beispiel für Pizzabelag, auch nicht lohnt. So geht er recht lebendig und vom Haken aus der Stirn befreit zurück in sein Element. Allerdings ist er nicht so gnädig, uns einen anderen Fisch zu schicken. Naja, der Ozean ist groß und vielleicht braucht er ein paar Tage.
Hermann hat nachmittags ein Stündchen geschlafen und wir sitzen jetzt im Cockpit und bewundern die Regenbögen vor düsteren dunklen Wolken im Osten. ‚Die‘ Regenbögen, denn es sind zwei, die sich übereinander in ihrer ganzen Farbpracht leuchtend stark und formvollendet präsentieren. Der untere taucht sogar ins Meer und spiegelt sich bis wenige Meter vor PACIFICO im Wasser. Ob dort unten auf dem Meeresboden ein Goldtopf steht? Wohl eher ein Goldfisch, denn unversehens rauscht die Angel aus. Als Hermann sich an die Angel stürzt, wissen wir noch nicht, dass der Fisch uns die nächsten eineinhalb Stunden in Atem halten wird. Er zieht und kämpft mit aller Macht. Immer wieder überwindet er die Bremse der Angelrolle und zieht Leine, die Hermann gerade er mühsam eingerollt hat. Die Rute ist kaum zu halten, so dass sich Hermann auf das Deck setzen muss und seine Füße gegen die Reling stemmt. Wind und Wellen machen die Aktion nicht gerade leichter. Schließlich holen wir die Genua ein, so dass PACIFICO relativ ruhig in den Wellen liegt und keine Fahrt mehr macht. Zwischendurch übernimmt Hilde Hermanns Platz und die Rute. Zentimeter um Zentimeter ziehen wir den Fisch heran. Nach einer Stunde sehen wir erstmals seine Silhouette im Wasser aufleuchten. Wieder kein MahiMahi. Aber was ist es dann? Ein Hai? Nein, kann nicht sein. Aber es ist auch kein Thuna. Soviel ist schon mal klar. Immer näher ziehen wir ihn an der Angel heran, bis wir ihn schließlich mit dem Gaffhaken an Bord holen. Boooooaaahh!!!!
Vor uns liegt auf dem Sonnendeck ein 150 cm langer und 30 kg schwerer Wahoo. Unser größter Fang bisher und wirklich mehr als wir essen können. Wir schneiden gut 13 Kilo Filet aus dem feinem Speisefisch. Einen Teil davon werden wir die nächsten Tage essen, ein paar Kilo werden eingekocht und über die andere Hälfte freuen sich in Tonga zwei Taxifahrer am Hafen und der Mann von der Bio Security.
Der Wind ist mit uns. Kaum vierundzwanzig Stunden hinter uns macht sich ein Hoch breit und lässt den Wind in dem Gebiet einschlafen. Das hätte für uns Flaute bedeutet und zusätzliche Tage bis zur Ankunft. So segeln wir bei halben bis achterlichen Winden Richtung Norden dahin. Im schneller. Am Sonntag, dem 1. Mai, weht es den ganzen Tag schon mit um die 20 Knoten und nachts soll es noch mehr werden und dann bis Montagabend mit 25 bis 30 Knoten wehen. Wenn es also so weitergeht, sind wir morgen schon da und nicht erst, wie vor zwei Tagen prognostiziert, am Dienstagmorgen. Dann müssen wir aber auch wirklich so schnell bleiben wie jetzt. Das bedeutet mindestens 6 Knoten Geschwindigkeit, besser mehr, um ein Tagesetmal von 150 bis 160 Meilen zu erreichen. Ziel ist es bei Tag anzukommen. Nachts wäre die Ankunft bei den Riffen um Tongatapu herum zu gefährlich.
Bei Einbruch der Dunkelheit reffen wir noch einmal. Großsegel und Genua im zweiten Reff und trotzdem laufen wir noch über 8 Knoten Geschwindigkeit. Trotz des Windes bleibt die Höhe der Wellen zunächst eher auf geschätzten moderaten 3 Metern. Die Nacht auf Montag ist entsprechend unbequem, doch haben wir es schon schütteliger erlebt.
Montagmorgen gegen sechs Uhr schlägt eine Welle gegen das Ruder und drückt PACIFICO quer zum Wind in Schräglage. Hilde schießt, noch im Halbschlaf im Bett, ungebremst durch die Schlafkabine und landet samt Matratze und Bettzeug, also gut gepolstert, vor Hermanns Bett auf dem Boden. Völlig geschockt horche ich auf die Geräusche vom Boot. Alles gut, PACIFICO ist wieder im Lot. Doch was ist Hermann passiert, wenn ich schon so durch die Kabine geschossen bin? In leichter Panik rappele Ich mich also auf und stürze in die Küche, um nachzusehen. Hermann schaut lächelnd um die Ecke, als wenn nichts wäre gewesen wäre. Er hat am Navi Tisch gesessen und den Computer gerettet. Bevor wir weiter zum Spielball der Wellen werden, hat er auch schon das Ruder wieder auf Kurs gebracht. Alles gut. Nur Hilde braucht etwas Zeit um langsam wieder ins Lot zu kommen
Der Montag beginnt also stürmisch und bleibt es, wobei in Böen bis zu sieben Windstärken ja noch kein Sturm sind. Die Wellen werden immer höher, geschätzte drei bis dann doch eher vier Meter. Eine weitere Welle schiebt unser Heck herum, bringt uns leicht in Schräglage. Das Kajak, dass außen an der Reling angegurtet ist, wird ins Wasser gedrückt. Die Schnallen der Gurte halten dem Druck nicht stand und werden auseinander gedrückt. Das zusätzlich noch vertäute Kajak hängt jetzt außenbords und wird bei einer Geschwindigkeit von über 8 Knoten mitgezogen. Fragt sich, wie lange das gut gehen kann und die Halteschlaufe am Kajak das aushält. Also muss es irgendwie zurück an Bord. ‚Und das bei dem Seegang!!! ‚denkt Hilde. Über die Bordwand besteht keine Chance. Also verbringt Hermann das Kajak ans Heck und kann es über die Badeplattform an Bord ziehen. So etwas nennt man dann Ressourcen retten.
Wir rauschen nur so dahin und hoffen Tonga am frühen Nachmittag zu erreichen. Erst als wir direkt vor der Piha-Passage sind, entscheiden wir uns diesen kürzeren Weg nach Nuku‘alofa, Tongas Hauptstadt und Einklarierungshafen, zu nehmen. Wir werden damit mögliche Turbulenzen durch Tide und heute sehr hohem Pacific Schwell in Kauf nehmen, sparen aber mindestens drei Stunden Fahrzeit
Um 16.00 Uhr unserer Zeit, also 17.00 Uhr Tongazeit gehen wir vor dem Pangaimotu (Motu: Inselchen), also noch bei Tageslicht, vor Anker gehen. Die Behörden haben bereits Feierabend. Wir feiern unsere Ankunft mit einem leckeren Essen, also entsprechend unserem Geschmack kein Fisch, sondern Steak.
Heute, am Dienstag, regnet es. Die vorhergesagten sieben Windstärken scheinen auszubleiben. Als wir die Hafenbehörden über VHF anrufen, meldet sich dort niemand. Auch lässt sich niemand sehen, als wir am Quarantäne Pier festmachen, nur die Taxifahrer. Doch gut, wenn man sich auskennt. Also marschiert Hermann mit Schiffspapieren und Pässen los, um uns einzuchecken. Dort ist man sichtlich genervt, dass die Segler wiederkommen und man arbeiten muss. Hermann nimmt es gelassen. Kurz nachdem er die Migration und Zoll erledigt hat und wieder an Bord ist, kommt auch der Mann von der Bio Security an Bord. Der ist weit weniger streng, als die die Vorschriften und so ist alles ganz entspannt. Wir müssen nichts von unseren frischen Lebensmitteln an Bord abgeben. (Wahrscheinlich deshalb, weil Hermann die Frage danach schlicht überhören wollte und der Beamte keine Lust hatte, sich mit vermeintlich mangelnder Sprachkenntnissen und Verständnisschwierigkeiten auseinander zu setzen. )
Nachdem mit dem Quarantäne Beamten alles offizielle erledigt ist, gibt es noch etwas Smalltalk. Wir erzählen von dem Wahoo und wie wir ihn geangelt haben. Da wir immer noch mehr als reichlich davon übrighaben, fragen wir, ob wir ihm ein gutes Stück davon schenken dürfen. Hoch erfreut nimmt er das große Stück Filet entgegen, greift sofort in die Tüte und reißt sich ein Stück von dem rohen Fisch ab. Das rohe Fleisch schiebt er sich in den Mund, kaut genüsslich und ist entzückt von dem guten Geschmack und wie frisch der Fisch ist. Er bittet um einen Teller, ein Messer und Salz, weil er doch gleich hier an Ort und Stelle noch etwas von dem köstlichen Fisch essen möchte. Wir sind leicht sprachlos. Allerdings hatte auch der Taxifahrer, der gestern schon ein Stück und dem Filet bekommen hatte, sich heute Morgen noch einmal dafür bedankt und auch etwas in der Richtung gesagt, wie gut doch dieser Fisch roh geschmeckt hatte.
So, nun sind wir wirklich in Tonga angekommen, ganz offiziell und mit einem drei-Monate-Visum. Letztes Jahr durften wir nur einen Monat bleiben laut Visum. Hat es geholfen, dass Hermann denen erzählt hat, wie gut es uns hier auf den Friendly Islands gefällt?